■ Mögliche Orte: Der Fisch als solcher
Das Aquarium am Zoologischen Garten entspricht nicht gerade dem, was man gemeinhin unter einem Geheimtip versteht. Pro Jahr strömen Hunderttausende in das Haus mit der grünen Fassade, Budapester Straße 32. Egal: Es können gar nicht genug sein. Und das ist kein flammender Appell, niedergeschrieben aus Sorge um eine von Haushaltskürzungen gebeutelte Zooverwaltung, die mittels des schmackigen Eintrittspreises von 10 Mark (ermäßigt acht) versucht, sich was dazuzuverdienen.
Wer auch nur einen Funken Seele spazierenträgt, den wird der Reiz dieses Ortes nicht unberührt lassen. Denn was es hier zu besichtigen gibt, ist – seine Existenz einmal vorausgesetzt – der Schöpfergott als Humorist. Um einen Besuch des Aquariums richtig auszukosten, empfiehlt es sich, einen bestimmten, von cleveren Tierforschern (die Idee, in Berlin einen Zoo einzurichten stammt von Alexander von Humboldt und geht zurück auf das Jahr 1832) ausbaldowerten Rundgang einzuhalten. Wie bei jedem Geschehen, an das man sich gerne erinnert, ist auch hier die Dramaturgie des Ereignisses von entscheidender Bedeutung. Mit anderen Worten: Um das Dasein des Fisches als solchem angemessen zu würdigen, muß man zunächst Hitze und lebensfeindliche Trockenheit erfahren, sprich: In die beiden Obergeschosse zu den Insekten und Reptilien gehen. Das ist der gruselige Teil der Route.
Dort begegnet man Fröschen, deren Sekrete derart giftig sind, das schon geringste Dosen das sofortige Ableben nach sich ziehen, ferner Skorpionen in allen möglichen Farbvariationen, exotischen Spinnen von ganz klein bis sehr groß, von glatt und gemein bis behaart und ausgesprochen eklig, Heuschrecken, die sich zum Schutz vor eiweißsüchtigen Existenzen das Aussehen von dürren Ästen geben, Schlangen, deren meterlange Mägen so dehnbar sind, daß im Zweifelsfall ein ausgewachsener Mensch locker darin Platz hat.
Die Liste ist endlos, das Ausmaß des Grauens je nach persönlicher Disposition variabel. Jedenfalls sollte man sich ausreichend Zeit nehmen für diesen Alptraum-Part des Nachmittags. Um so mehr wird man entschädigt, wenn man sich den eigentlichen Attraktionen des Hauses widmet. Man kann über Tierhaltung denken, was man will – und einige der Fische, wie etwa die eleganten, perfekt stromlinienförmigen Katzenhaie, machen in ihren Wasserbecken zugegebenermaßen einen eher unausgelasteten Eindruck –, hier herrscht die reine Poesie.
Es ist ein Eintauchen in eine fremde Welt. Beim Fisch, soviel dürfte klar sein, hört die Verwandtschaft auf. Aber was heißt schon Fisch: Etwas, das man während eines Besuchs des Aquariums relativ schnell begreift, ist der Umstand, wie unzureichend verbale Ausdrucksmöglichkeiten in manchen Situationen sein können. Der Begriff Fisch offenbart rasch seine wahre Natur: Es ist nichts anderes als eine willkürlich festgelegte sprachliche Übereinkunft, um damit die allermerkwürdigsten Lebensformen zu erklären.
Da gibt es Tiere, die augenscheinlich am liebsten flach auf dem Sandboden liegen und aussehen wie ramponierte Putzlappen, graue Eminenzen mit leuchtend blauen Punkten an der Seite, weiße klopsartige Gebilde mit orangenen und schwarzen Streifen, andere erinnern an schwimmende Lampions. Das Aquarium ist ein Ort für Verliebte, die sich gegenseitig die Wunder der Welt zeigen möchten, aber auch ein Ort für Melancholiker auf der Suche nach Erholung.
Zum Beispiel die Quallen. Sie werden unter enormem technischen Aufwand aufgezogen, und führen nun vor aller Augen einen heiteren, hintergründigen Tanz auf, dessen Sinn und Zweck einem zwangsläufig verschlossen bleiben muß. Dieses maritime Gemüse ist einfach nur da, und das einzige, wovon die Quallen sprechen, ist, daß sie Teil eines großen, immer wiederkehrenden Kreislaufs sind. Zu beobachten, wie sie von quälenden Gedanken so völlig unbeschwert in ihrem Wasser vor sich hin treiben, hat eine in ihrer Heilsamkeit nicht zu unterschätzende Wirkung auf die eigene gestreßte Wahrnehmung. Und plötzlich werden die eigenen Probleme für einen Moment klein und unbedeutend. Ulrich Clewing
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