Möbelbörse fehlen die Tauschpartner: Schlechter Tausch
Mit einer Möbelbörse will ein Projekt am Kottbusser Tor über Wiederverwertung informieren. Doch die Anwohner wohnen nichts tauschen - sondern nur ihren Müll loswerden.
Mit einem blauen Bügelbrett sollte alles beginnen. Nadine Lorenz und ihre Mitarbeiter haben es selbst zum Kottbusser Tor gebracht. Nun steht die Bügelhilfe unter einem schützenden Regendach aus Plastik. Darüber hängt ein Schild: "Möbeltauschbörse. 12 bis 15 Uhr." Nadine Lorenz schaut auf ihre Uhr. Jetzt heißt es warten.
So wie das Bügelbrett stehen viele Möbelstücken vor den Häusern rund um das Kottbusser Tor. "Der Kiez hat ein echtes Müllproblem", sagt Nadine Lorenz. Die 30-Jährige arbeitet für den Verein "ghost", der sich im Auftrag des örtlichen Quartiersmanagements bemüht, den privaten Müllkippen Herr zu werden. Dafür hat sich ghost ein Projekt ausgedacht: Bei der "Sperrmüllaktion und Möbeltauschbörse" können die Bewohner des Kiezes alte Einrichtungsgegenstände vorbeibringen und sie gegen andere Möbel eintauschen. "Denn vieles, was auf der Straße steht, könnte jemand anderes noch gebrauchen", sagt Lorenz. Doch es geht dem Verein um mehr als nur den Sperrmüll. "Wir wollen die Bewohner auf die Probleme der Wegwerfkultur hinweisen", sagt Lorenz.
An diesem Samstagmittag ist die Premiere der Aktion. Am Platz an der Admiralstraße, gleich neben dem U-Bahneingang, haben Lorenz und ihre Kollegen Plastikpavillons aufgebaut. Die Möbeltauschbörse hat mehrere Unterstützer: ein Gebrauchtwarenmarkt wirbt für Einrichtung aus zweiter Hand, ein Projekt informiert über die Wiederverwertung von Elektrogeräten. An den Ständen liegen Flyer des Bundesumweltministeriums aus, es gibt Kaffee und Gemüsesuppe. Die Berliner Stadtreinigung (BSR) hat einen mobile Müllpresse geschickt. "Vielleicht brauchen wir sie ja gar nicht", überlegt ein Mitarbeiter laut. "Kann ja sein, dass die Leute ihr Zeug wirklich tauschen wollen."
Die Aufwand scheint sich bezahlt zu machen: Zehn Minuten steht der Pavillon erst, da kommt eine junge Frau auf Nadine Lorenz zu. Sie heißt Eylem und hat ein Bettgestell übrig, "das steht im Keller und ich würde es gerne abgegeben." Sie verspricht, das Möbelstück gleich vorbeizubringen. Kurz darauf bringt ein Anwohner zwei Sperrholzschränke, ein anderer seinen alten Schreibtisch. "Bestimmt kommen gleich noch mehr Leute", meint Nadine Lorenz, "in einer Stunde ist es hier voll mit Sachen."
Doch die alten Möbel bleiben einsam im Regen stehen. Eylem, die ein Bettgestell bringen wollte, kommt nicht. Passanten umschiffen den Sperrmüll, die Pavillons beachten sie kaum. Die Mitarbeiter der BSR essen süße Stückchen und treten von einem Bein auf das andere.
Die Mitstreiter von ghost geben sich derweil alle Mühe, die Anwohner auf den Platz zu locken. Eine Mitarbeiterin hat sich als Superheldin verkleidet und verschenkt Traubenzucker an vorbeigehende Kinder. Ein anderer Helfer hat seine Trommelgruppe mitgebracht, die lautstark gegen den Lärm der vorbeifahrenden U-Bahn ankämpft. Einige Touristen bleiben kurz stehen und beobachten die Szenerie. Nur: Der Sperrmüll bleibt, wo er ist.
Nach drei Stunden taucht Eylem doch noch auf, sie lädt ein silbernes Bettgestell ab und einen grünen Klapptisch. "Ist ja toll", freut sich Lorenz. Doch kaum fünf Minuten später sammelt die BSR die Möbelstücke ein. Der Mitarbeiter zuckt mit den Schultern und sagt: "Feierabend." Die Schränke, der Bürotisch und das Bügelbrett verschwinden in der Müllpresse, genau wie Eylems Bettgestell. Die Studentin stört das nicht. "Hauptsache es ist weg", sagt sie. "Ich wollte den Kram eh nur loswerden."
Nadine Lorenz steht die Enttäuschung nach den drei Stunden ins Gesicht geschrieben "Wir hatten uns schon mehr erhofft", sagt sie, "vielleicht ist es, weil man seinen Müll herbringen muss?" Es sei eben doch einfacher, ihn auf die Straße zu stellen. Doch entmutigen lassen will sie sich nicht. "Das Projekt hat Potenzial", sagt sie zuversichtlich. "Und jeder der vorbeigekommen ist, war ein kleiner Erfolg."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten