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"Modernisierungsmanifest" des PräsidentenMedwedjew wettert gegen die Russen

In einer Internetzeitung prangert Präsident Medwedjew die russische "Rückständigkeit" an. Welche Absicht verfolgt der Staatschef mit der harten Kritik an seinen Landsleuten?

Schießt scharf gegen die "russische Rückständigkeit": Präsident Medwedjew, hier beim Besuch des Geheimdienstes FSB in Dagestan. Bild: dpa

RUSSLAND taz | "Vorwärts Russland!" steht über dem Beitrag, mit dem Dmitri Medwedjew der politisch und intellektuellen verschlafenen Öffentlichkeit seines Reichs wieder so etwas wie Leben einzuhauchen versucht. In der liberalen Internetzeitung gazeta.ru veröffentlichte der russische Präsident einen offenen Brief an seine Landsleute mit der Aufforderung, sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft des Landes zu beteiligen.

Die besten Gedanken und Vorschläge, versprach der Kremlchef, werde er in seine Rede zur Lage der Nation Ende Oktober aufnehmen. Dem Image eines im Kern aufgeschlossenen Modernisierers, mit dem er die Nachfolge Wladimir Putins vor anderthalb Jahren antrat, bleibt der Präsident treu. Wohlmeinende Beobachter, wie der Leiter der Moskauer Agentur für politische und ökonomische Kommunikation Dmitri Orlow, werteten den seitenlangen Beitrag denn auch schon als ein wegweisendes "Modernisierungsmanifest".

Doch zunächst eröffnet Medwedjew den Dialog mit dem Volk mit einer schonungslosen Zustandsbeschreibung des Landes, dem er jahrhundertelange Rückständigkeit bescheinigt: "Sollen wir weiterhin unsere primitive Rohstoffwirtschaft, die chronische Korruption, die überkommene Gewohnheit, bei der Lösung der Probleme auf den Staat, das Ausland, eine allmächtige Lehre, immer auf irgendetwas zu hoffen, nur nicht auf uns selbst, mit in die Zukunft schleppen?", fragt der Kremlchef. So sei es in den letzten zwanzig Jahren nicht gelungen, die "erniedrigende Rohstoffabhängigkeit" zu überwinden. Wer nur auf Rohstoffe baue, könne keinen Anspruch auf die Führerschaft in der Welt erheben.

Medwedjew geht mit seinen Landsleuten hart ins Gericht. Die heimische Geschäftswelt bezichtigt er der Trägheit: Statt talentierte Erfinder zu suchen, beschäftige sie sich lieber mit der "Bestechung von Beamten, um Kontrolle über die Umverteilung von Eigentum zu erhalten".

Medwedjews Appell gibt Rätsel auf. Welche Absicht verfolgt der Kremlchef? Will er sich vom Vormund Putin befreien? Die wiederholten Aufforderungen des Kreml, die Modernisierung endlich anzugehen, wurden von der Regierung Putin nicht aufgegriffen. Grund zur Unzufriedenheit hat der Kremlchef, aber hätte er auch genügend Spielraum?

Die Suche nach Verbündeten übers Internet lässt eher vermuten, dass Medwedjew über keine Kanäle verfügt, sich Gehör zu verschaffen. Hin und wieder zeigten sich in den letzten Monaten Dissonanzen im Führungstandem. An der von Putin vorgegebenen politischen Richtung änderte dies freilich nichts.

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3 Kommentare

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  • PB
    Peter Bitterli

    Herr Donath schreibt heute in der "Neuen Zürcher Zeitung" folgendes:

    "Putin will zurück ins höchste Amt" (Titel)

    "Russlands Regierungschef Wladimir Putin will im Jahr 2012 wieder Präsident werden." (Lead)

    "Wladimir Putin schliesst nicht aus, 2012 wieder als russischer Präsident in den Kreml zurückzukehren." (Artikel)

    Also: reisserische, falsche Titel und dann eine stufenweise Zurücknahme derselben. Wer den Sachverhalt kennt, weiss, dass nicht einmal die abgeschwächte Formulierung korrekt ist. Putin sagte lediglich, dass er nicht gegen Medvedev konkurrieren werde, was man auch vollkommen gegenteilig interpretieren kann.

  • G
    gregor

    Diese Überschrift würde bei der Bild-Zeitung nicht überraschen. Natürlich hat Medwedew in seiner Rede gegen die Russen NICHT gewettert. Und er hat nicht über die „russische Rückständigkeit“ geschrieben, sondern über den rückständigen Charakter der Wirtschaft des Landes. Die eigene Russophobie sollte man nicht auf das Denken des russischen Präsidenten übertragen. Er wird nie über sein Volk wettern und es als rückständig bezeichnen.

  • K
    knz

    "Putin vorgegebenen politischen Richtung" - und warum nicht? Weil Putin und Medwedjew sich in diesem Punkt einig sind.

     

    Zu vermuten, Medwedjew ständen keine anderen Kanäle zur Verfügung und er nutze deshalb das Internet ist doch absurd. Oder kann man das gleiche über die Merkel sagen - die wie viele deutsche Politiker fleißig im Internet aktiv ist?

     

    Der ganze Artikel klingt wie ein erzwungener Versuch mal wieder auf Putin einzuschlagen und die alte Märr vom "Schattenpräsidenten" aufzutischen. TAZ, das ist erbärmlich.