Modernes Tierleben: Die Profi-Hundetanten
Damit sie nicht die ganze Zeit allein sind, besuchen Hunde eine Tagesstätte. Raus dürfen sie auch. Das Konzept kommt vor allem in Großstädten gut an.
BERLIN taz | Siebzehn Hunde tummeln sich in den zwei großen Zimmern mit Ledersofas und Trinkspringbrunnen in einem Wohngebiet des Berliner Stadtteils Wilmersdorf. Vom Mops bis zur Dogge ist alles dabei. Ein Labrador liegt im großen Schaufenster und sieht beim Getränkeabladen eines Supermarkt-Lkws zu. Passanten bleiben vor dem Schaufenster stehen, machen Fotos. Das Unternehmen „Amicanis“ startete 2011 als erste Hundetagesstätte in Berlin. Besitzerin Nadja Kopp begann als Hundetrainerin, streifte dann als Dogwalkerin durch den Grunewald. Bis einer befreundeten Kollegin zwei Hunde, die im Wald einen Giftköder gefressen hatten, gestorben sind. „So entstand der Wunsch nach einem eingezäunten Gelände für mehr Sicherheit.“
Inzwischen beschäftigt die 28-jährige Jungunternehmerin sieben Mitarbeiter. Ihr Medizinstudium brach sie nach raschem Erfolg der Hundetagesstätte ab. Auf dem Frederikenhof im brandenburgischen Großbeeren arbeiten Tierpfleger und Tierarzthelfer. Kopp verfügt hier über sieben Hektar abgezäunte Auslauffläche und eine 200 Quadratmeter große Hundespielhalle. Und drei Frauen arbeiten 15 Kilometer nördlich an der Rezeption der Dependance in Berlin-Wilmersdorf – Tourismusfachleute, „die Kunden auch auf Spanisch und Englisch betreuen können“.
„Das sind alles Hunde, die normalerweise in Wohnungen warten müssten, bis ihre Besitzer von der Arbeit zurückkommen. Hier können sie ihr eigenes Leben führen.“ Nadja Kopp kennt alle Namen ihrer tierischen Gäste. Zu ihrer Seite befinden sich Curly-Sue, ihr Border Collie und ihre schneeweiße Havaneser-Hündin Leni. Sie trägt wie ihre Mitarbeiter eine rote Firmenjacke, die mit der Wandfarbe der Inneneinrichtung und dem Firmenlogo korrespondiert.
Wie kleine Kinder
Fahrerin Babs, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, manövriert den dazugehörigen Shuttlebus, der zwischen Rezeption und Hof verkehrt – bis zu sechsmal am Tag. Diesmal hat sie nur einen Fahrgast, der schon um die Mittagszeit abgeholt wird. Sie packt den Hund an der Leine und führt ihn zum Heck des Busses. Der Hund hüpft in den Kofferraum und legt sich auf die im Wagen ausgebreiteten Decken.
Hundetagesstätten erfreuen sich deutschlandweit steigender Beliebtheit, vor allem in Großstädten. Sie dürfen nur von sachkundigen Personen betrieben werden: Personen mit passender Ausbildung, Erfahrung durch Praktika, Seminare oder eigener Hundehaltung. Letztendlich entscheidet das Veterinäramt über die Zulassung einer Hundetagesstätte, die in der Regel eine Ganztagsbetreuung in einem eingezäunten Gelände sowie flexible Bring- und Abholzeiten bietet.
Dogwalker dagegen brauchen keinerlei Nachweise über ihre Eignung, nur einen Gewerbeschein. Mit der zu erwartenden Änderung des Berliner Hundegesetzes im neuen Jahr wird das kommerzielle Hundeausführen im öffentlichen Raum erschwert. Die Tiere müssen dann immer an der Leine geführt werden, auch auf Bürgersteigen. Dogwalker überschreiten schon heute vielerorts das Hundegesetz. Beispielsweise ist es nicht erlaubt im Wald und in Parks die Hunde frei laufen zu lassen. Eine neue Passage des Hundegesetzes sieht vor, dass maximal vier Hunde pro Person ausgeführt werden dürfen. Aktuell führen die Dogwalker zumeist etwa 10 bis 12 Hunde auf einmal aus, um davon leben zu können.
„Die Hundetagesstätte ist eine Superidee. Damals war das einzigartig. Für die Besitzer sind das doch kleine Kinder“, erzählt Babs, während sie den Bus über die Stadtautobahn lenkt. Babs hat selbst keine Hunde – dafür Katzen. Ab und an fährt sie auch Promi-Hunde, etwa von Til Schweiger oder Nora Tschirner für die im Luxussegment angesiedelte Hundetagesstätte. „Wir haben auch skurrile Anliegen. Zum Beispiel betreuen wir Hunde, die ganz viel auf dem Schoß sitzen müssen. Wir versuchen für den Kunden alles möglich zu machen“, erklärt Nadja Kopp. Auf Nachfrage werden auch Filetsteaks zubereitet.
Neben der Hundetagesstätte betreibt Kopp auf dem Hof eine Hundeschule mit sechs freiberuflichen Hundetrainern sowie eine Hundepension mit sieben Einzelzimmern und Nachtbutler-Service: Ein Mitarbeiter sieht bis zu viermal in der Nacht nach, ob der Hund auch wirklich schläft. Die acht über Nacht gebliebenen Hunde befinden sich bereits auf dem Hof. 17 weitere Tagesgäste kommen heute dazu.
„Jeder Hund darf hier machen, was er möchte: spielen, rennen, springen, buddeln, schlafen oder in der Gegend rumschnüffeln. Wir versuchen so wenig wie möglich Einfluss zu nehmen. Das soll Freizeit für die Hunde sein“, erklärt Kopp. Die Preise von Amicanis berechnen sich gestaffelt nach Stunden oder pauschal für jeweils 6 oder 12 Stunden. Ein XS-Hund mit weniger als 5 Kilo Gewicht kostet 3 Euro pro Stunde, ein L-Hund mit mehr als 25 Kilo auf den Rippen 3,80 Euro. Für 12 Stunden sind das 30 Euro am Tag.
USA waren Vorreiter
Empfohlener externer Inhalt
In Ariane Senskes „Hundestube“ sitzt der 20 Kilogramm schwere Hund namens Milo unbeholfen auf ihrem Schoß im weißen Plastikgartenstuhl und schnuppert in die Luft. Der schlacksige Welpe Rossi und English Setter Jussi spielen ausgelassen miteinander. Jussi wurde in Griechenland ausgesetzt und vom Tierschutz aufgelesen. Bei Heiko Reichenberger fand er ein neues Zuhause. Der Jagdhund fürchtet sich vor allem, was ihm unbekannt ist: fremde Geräusche, Regenschirme, anfangs auch Wind. Die gelegentlich an der Hundetagesstätte vorbeibretternden Güterzüge stören ihn inzwischen nicht mehr.
„Ariane kann auch mit schwierigen Hunden umgehen“, erklärt der Hundebesitzer. „Jussie ist nicht so einfach. Inzwischen ist sie viel zutraulicher geworden.“ Unproblematisch ist dagegen Lina, eine 2.000 Euro teure Afghanische Windhündin. Ihre Leidenschaft ist das Buddeln, der sie in unbeobachteten Momenten nachgeht. Ihre weißen Pfoten sind dann vom Sand braun gefärbt. „Herrchen sieht das gar nicht gerne“, meint Senske und trampelt eine Kuhle zu.
„Eine Hunde-Bitte-was?“, waren die ersten Reaktionen auf ihre Geschäftsidee. Das Konzept komme aus den USA und nenne sich Hundetagesstätte, erklärt die 29-Jährige dann. Dicht gedrängt rangeln drei Hunde um die beste Aussicht. Senske öffnet das blickdichte Holztor, und Chihuahua-Mischling Dougi tappelt durch den Eingang.
Die Passion zum Beruf gemacht
Senkes Hundetagesstätte befindet sich 19 Kilometer östlich von Amicanis entfernt auf einem Gewerbehof in Altfriedrichsfelde. Hinter Ostberliner Plattenbauten längst der Stadtautobahn B 1 gelegen, mietete sie hier 600 Quadratmeter des ehemaligen Bahngeländes an. Ein DHL-Fuhrpark, eine Lkw-Fahrschule und ein Schrottplatz umgeben ihr Grundstück. Zwei Bauwagen stehen auf dem ehemaligen Brachgelände. 100 Quadratmeter ihres Terrains sind betoniert, auf weiteren 500 Quadratmetern noch lückenhafter Rasen gesät.
Auf der Grünfläche stehen einige Hindernisse und Hürden. Die Hunde rennen darüber, darunter, drumherum. „Ich wollte eine Betreuung anbieten, bei der ich meinen eigenen Hund auch abgeben würde.“ Senkes Hündin Ulexa ist taub. Im Juni 2013 machte sie ihre Passion zum Beruf. Zuvor sezierte sie tot aufgefundene Seeadler und Wölfe und beschäftigte sich damit, wie man Maispflanzen besser gegen Ungeziefer schützen könnte. Nach drei befristeten Verträgen in der Forschung machte sich die biologisch-technische Assistentin selbständig.
Ariane Senske ist gern für sich und unter Tieren. Auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns steht ein Mann. Keiner der Hunde schlägt Alarm. „Obwohl es hier keine Anwohner gibt, die das stören könnte, ist übermäßiges Bellen nicht erlaubt“, sagt Senske. Oberste Devise: kein Stress – für die anderen Hunde. Ariane Senske verscheucht den Zaungast. „Menschen ist hier ohne vorige Absprache der Zutritt verboten.“ Ihre Kunden wissen trotzdem, was hier passiert. Senske verschickt per WhatsApp ein zuvor gemachtes Foto des English Setters an seinen Besitzer Reichenberger. „Das ist für die Besitzer wichtig.“ Denn: „Auch berufstätige Singles oder Paare möchten einen Hund haben, ihn aber nicht den ganzen Tag allein lassen.“
Insgesamt 100.000 Hunde sind in Berlin registriert. Dem gegenüber stehen eine Handvoll Hundetagesstätten. Für die Aufnahme in Senskes Hundegruppe ist eine Eingewöhnungsphase Pflicht, Aggressivität des Hundes ein Ausschlusskriterium. Senske arbeitet hauptsächlich für Stammkunden. Zwölf Hunde besuchen ihre Hundetagesstätte regelmäßig. Die meisten kommen montags bis freitags, einige nur ab und zu. Die Besitzer fahren morgens vor der Arbeit vorbei und holen ihren Hunde nach Feierabend wieder ab. 22 Euro kostet die Ganztagsbetreuung. Im Monatsabo sind es 340 Euro – 200 Euro weniger als beim Preismodell von Amicanis.
Abends sind sie knülle
Senskes aktuelle Hundegruppe ist speziell. „Es heißt, Hunde fürchten: groß, dunkel, männlich“. Senske ist das Gegenteil: 1,50 Meter hoch, blond und weiblich. „Ich betreue hier eher ängstliche, sensible Hunde.“ Geplant war das nicht. „Das hat sich einfach so ergeben.“
Da ist beispielsweise Dougi. Der Chihuahua-Mischling liegt auf einem Stock kauend allein in der Sonne. Die Hündin mag keinen Kontakt mit anderen Hunden, hat aber gelernt, sie zu tolerieren. „Eigentlich gibt es keine festen Plätze, aber sie hat einen – oben im Körbchen, wo sie alle anderen Hunde im Blick hat.“ Allzu intensiven Blickkontakt oder schnüffelnde Annäherungsversuche der anderen Hunde quittiert der 5 Kilogramm schwere Hund mit einem Bellen und gefletschten Zähnen. „Dafür spielt Dougi mit mir. Im Winter sitzt sie gern in meiner Jacke drin“, erzählt Senske.
Um 18 Uhr fährt ein silberfarbener VW im Ostberliner Gewerbehof vor. Senskes aktueller Klingelton „Smooth“ von Santana ertönt. Wieder stehen alle Hunde am Zaun gedrängt. „Die wissen, dass da entweder ein neuer Hund kommt oder einer von ihnen abgeholt wird.“ Senske ändert regelmäßig den Klingelton. „Hilft aber nichts.“ Annelie Schippel nimmt ihre Hündin entgegen. Diese schließt im Auto sofort die Augen. „Dougi ist so knülle. Zu Hause wird noch gefressen und dann auf dem Sofa gedöst, bevor es endgültig ins Bettchen geht.“
Auch Ariane Senske macht jetzt Feierabend und fährt mit ihrem Hund Ulexa nach Hause. Nicht immer ist damit ihr Arbeitstag beendet. „Wer glaubt, er könnte mit dem Job reich werden, sollte sich einen anderen suchen.“ Ein paar Stunden die Woche arbeitet sie noch als Barkeeperin in einem Billardsalon: „Auch als Ausgleich, um mal unter Menschen zu kommen.“
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