Mockumentary „Gerry Star“: Ein Mann zum Hassen
„Gerry Star“ ist eine gut gemeinte, aber unangenehme Mockumentary-Serie. Ihr Antiheld ist fast zu toxisch, um lustig zu sein.
Stella will zum DSC, zum Deggendorfer Song Contest. Verschämt steht sie in der Tür, die die Welt von „Becky’s Bowlingcenter“ abgrenzt von dem kleinen, muffigen Büro, das sich Gerry Star darin ergattert hat. Star ist Stellas Produzent und verachtet Stella. Nur der Preis lässt ihn aufhorchen: ein Song mit dem Sänger Ingo Rose.
1999 haben die beiden noch gemeinsam auf der Bühne gestanden. Von Champagner aus der Vergangenheit träumt Star (Sascha Nathan), von Goldenen Schallplatten und Groupies. Dabei stand er als Keyboarder in der hintersten Reihe. Jetzt steht er zwischen der Schuhausgabe und der Aufgabe, die zukünftige Bowlingbahn-Erbin Stella groß herauszubringen.
Deren Mutter (Andrea Sawatzki) glaubt ganz fest daran, dass ihre Tochter eine zweite Britney Spears werden kann. Deswegen darf Star auch ein Büro im Bowlingcenter haben. Und Stella (Franziska Winkler) resümiert im direkten Gespräch mit der Kamera in dieser Mockumentary. „Ja, so viel ist da jetzt noch nicht rumgekommen.“
Jetzt aber hat Star zwei Gründe, beim DSC zu gewinnen: Sein Büro/Schlafzimmer behalten und Kontakt zu Rose! Dafür stellt er eine Band zusammen: Stella singt. Micha (Lars Rudolph), früher mal Hausmeister, jetzt im Burn-out, sitzt am Schlagzeug. Benjamin (Noah Tinwa), der gerade seinen ersten Arbeitstag als Koch hat, spielt die Gitarre.
„Gerry Star – der (schlechteste) beste Produzent aller Zeiten“, 8 Folgen bei Amazon Prime Video
Es ist ein Plot, den wir schon Hunderte Male in Football- und Musikfilmen gesehen haben, weil er so verdammt gut funktioniert: Ein Loser sucht sich Menschen, die er als Team zusammenführen will, um einen Wettbewerb zu gewinnen, damit er sich selbst besser fühlt und der Welt, die ihn – seiner Meinung nach – schlecht behandelt, zu beweisen, dass er etwas drauf hat.
Wer sich etwas Wohlfühliges erhofft wie die „Discounter“, das Glanzstück von der Produzentin Pyjama Pictures und ebenfalls eine Mockumentary, muss sich etwas anderes suchen. Bei „Discounter“ lieben und verarschen sich Supermarktmitarbeiter*innen, sie hängen ab und rauchen hinterm Laden.
Sexuelle Spannungen und Neid
Auch hinter Beckys Bowlingcenter wird geraucht. Auch hier gibt es sexuelle Spannungen und Neid. Auch „Gerry Star“ zeigt Menschen unterschiedlichen Alters – ein Glücksfall, verharren doch viele Serien sonst mit ihrem Blick bei einer einzigen Altersgruppe. Aber: Über allem droht als Wolke des Verachtenswerten: Gerry Star.
Der reißt Witze über Stellas Übergewicht. Bedrängt Frauen. Ist konstant rassistisch. Bezeichnet es als „Zwergenaufstand“, als ein kleinwüchsiger Rocker sich darüber beschwert, dass er auf dem Behindertenparkplatz steht. Prügelt einen Mann im Rollstuhl ins Krankenhaus.
Gerry verachtet jeden, außer sich selbst. Er ist ein Mann um die 50, der nicht zu seinen Fehlern steht, sich aufplustert und versucht, sich selbst glauben zu machen, dass er irgendwann mal etwas erreicht hat und auch noch etwas erreichen wird. Gerry Star ist ein Charakter, als hätten die Schauspieler Max Wolter und Tom Gronau, für ihre erste Regie- und Drehbucharbeit alle negativen Bilder von Männern abgepaust und übereinandergelegt.
Er ist die Zeichnung eines Mannes, wie er nicht sein sollte und trotzdem so häufig ist. Dafür wird das Publikum immer wieder und viel zu oft mit Menschenverachtung konfrontiert. „Gerry Star“ könnte eine lustige Serie sein, eine die uns gelegentlich auch zum Weinen bringt.
Stattdessen hat sie sich entschieden, uns keinerlei Sympathie für den Protagonisten zu erlauben, uns nur beschämt oder wütend zurückzulassen. Wäre Star ein bisschen weniger Arsch, die Serie über ihn wäre gut geworden.
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