: Mobil ohne Emission: mehr Schein als Sein
Der grünste Mercedes aller Zeiten kommt Jahre später als angekündigt. Erst 2017 soll das abgasfreie Brennstoffzellen-Modell „F-Cell“ vom Fließband rollen. Der verschobene Start der weltweit ersten Großserienproduktion eines Null-Emissions-Fahrzeugs nützt paradoxerweise dem Klima: Denn der Brennstoffzellen-Treibstoff Wasserstoff lässt sich klimafreundlich nur mit Strom aus erneuerbaren Energien klimafreundlich erzeugen. Und dafür müssen Solar- und Windkraft massiv ausgebaut werden
von Jürgen Lessat
Erst vor wenigen Tagen hat der Weltklimarat hinter die Zukunft der Menschheit ein dickes Fragezeichen gesetzt. Denn der Mensch bläst immer mehr Kohlendioxid (CO2) durch Verbrennen von fossilen Energieträgern wie Öl und Kohle in die Luft. Das erwärmt das Erdklima, was fatale Folgen hat: Mit Gletschern schmelzen Trinkwasserreservoire dahin, steigende Meeresspiegel bedrohen Küstenregionen, Wetterextreme gefährden die Nahrungsproduktion.
Zu den menschgemachten CO2-Emmissionen steuert der Verkehr hierzulande rund ein Viertel bei. Da käme ein Auto ohne Abgase gerade recht. Etwa aus Untertürkheim die Mercedes B-Klasse „F-Cell“, aus deren Auspuff nur harmloses Wasser dampft. Das grüne Modell mit Stern, mit Wasserstoff im Tank und Brennstoffzelle als Stromkraftwerk an Bord, kommt aber nicht. Noch nicht. Dabei hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) im September 2011 in Frankfurt noch medienwirksam den Start der Serienproduktion für 2014 angekündigt, Jahre früher als ursprünglich geplant. Kleinlaut machte der schnauzbärtige Manager jetzt einen Rückzieher. Das Null-Emissions-Auto soll erst 2017 vom Fließband rollen. Stattdessen präsentierte Mercedes auf der jüngsten IAA im September eine batterieelektrisch getriebene B-Klasse, die im kommenden Jahr marktreif sein soll.
Damit macht sich Mercedes selbst Konkurrenz. Denn bislang favorisierte der schwäbische Autobauer für seine Mittel- und Oberklasse die Brennstoffzellentechnologie als zukunftsfähiges abgasfreies Antriebskonzept. Batterie und Elektromotor, das gehört für die Untertürkheimer bislang eher in Kleinwagen wie den Smart, die vor allem in der Stadt bewegt werden. Schließlich spricht vieles für die Brennstoffzelle, in der Elektrizität aus der Synthese von Wasserstoff mit Sauerstoff für einen durchzugsstarken Elektromotor entsteht. Mit bis zu 350 Kilometer ist die Reichweite des Mercedes B-Klasse mit dem Typenkürzel F-Cell, von dem weltweit annährend 200 Stück ihre Alltagstauglichkeit beweisen, deutlich größer als bei einem vergleichbaren akkugetriebenen Elektromobil. Und das Betanken, knapp vier Kilogramm gasförmiger Wasserstoff passen in den Hochdrucktank, dauert mit drei Minuten einen Wimpernschlag im Vergleich zum meist mehrstündigen Batterieladevorgang eines „gewöhnlichen“ E-Mobils an der Steckdose.
Technisch gelten Brennstoffzellen-Autos inzwischen als nahezu alltagstauglich. Warum bislang nur rund 100 derartige Fahrzeuge verschiedener Hersteller auf deutschen Straßen unterwegs sind, liegt vor allem an zwei nicht zu unterschätzenden Problemen. So bremsen die enormen Entwicklungskosten die neue Mobilität aus. Rund eine Milliarde Euro soll allein Daimler seit 1995 in sein F-Cell-Projekt gesteckt haben. Wie jede neue hochkomplexe Technologie kostet der neue Antrieb noch relativ viel in der Herstellung. Sicher ist deshalb, dass es die ersten Brennstoffzellen-Serienfahrzeuge keinesfalls zum Schnäppchenpreis geben wird. Mit einer strategischen Allianz mit Nissan und Ford, vereinbart zu Jahresbeginn, versucht Daimler zwar, die Kosten auf mehrere Schultern zu verteilen. Die drei Autobauer verwenden den gleichen Antriebstrang bei unterschiedlichen Karosserien. So sollen schon gleich nach Markteinführung hohe Verkaufszahlen erreicht werden, was zu kostensenkenden Skaleneffekten bei Herstellern und Zuliefern führt.
Eine Milliarde Euro für neue H2-Tankstellen
Vor allem behindert jedoch das berühmte „Henne-Ei-Prinzip“ die Einführung. Konkret fehlt es an Zapfsäulen, an denen sich die Brennstoffzellen-Autos betanken lassen. Aktuell gibt es republikweit nur 15 öffentliche Wasserstofftankstellen. Fachleute gehen davon aus, dass bundesweit rund 1.000 H2-Tankstellen gebaut werden müssen, um eine Grundversorgung zu bieten. Investitionsvolumen: etwa eine Milliarde Euro. Es könnte auch mehr werden, falls der Wasserstoff vor Ort produziert werden soll, um teure wie ökologisch bedenkliche Transportwege mit dem Tanklaster zu sparen. Schließlich lässt sich der Treibstoff Wasserstoff aus gewöhnlichem Leitungswasser herstellen, was aber pro Tankstation mit einer Million Euro zusätzlich für eine aufwendige Elektrolyseanlage zu Buche schlägt.
Großkonzerne wie EnBW, RWE und Eon könnten sich ein neues Geschäftsfeld erschließen, nachdem durch Atomausstieg und Energiewende wichtige Einnahmequellen versiegt sind. Die Wasserstoff-Infrastruktur braucht aber nicht in den Händen der Großen zu bleiben. Kommunale Stadtwerke könnten künftig Wasserstoff-Produzent und Tankstellenbetreiber in einem sein. Auch Energiegenossenschaften könnten sich an dem Bau von Wasserstofftankstellen beteiligen.
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