piwik no script img

Mittelmeer und EisbachDeutschland ist Lost in Translation

Zu Hause bei Fremden

von Miguel Szymanski

München, 33[0]C. Am Eisbach an der Isar, dort wo der Englischen Garten ist, gibt es eine stehende Welle an einer Stelle des Kanals, die die deutsche Surfer-Community vor vielen Jahren entdeckt hat. Ich bin für drei Tage in der bayerischen Hauptstadt und bewundere die exzellente Technik und Hochpräzision der deutschen Wellenreiter auf der extrem knappen Wellenbreite zwischen beiden Kanalufern.

Die deutschen Eisbach-Surfer stehen in ordentlich formierten Reihen links und rechts am Ufer mit den Surfbrettern unterm Arm. Sie erinnern mich an bunte Bleifiguren in einer Vitrine. Im 30- bis 60-Sekunden-­Takt (je nachdem, wie lange sich der Vorgänger auf dem Brett halten konnte) springen sie vom Ufer aus auf ihre Bretter ins Wasser. Die Surfbretter sind wie die meiner Landsleute an der Atlantikküste. Die Neoprenanzüge sind von denselben Markenherstellern. Technisch sind die Manöver, die sie ausführen, dieselben. Aber alles andere ist anders. Die Surfer an Portugals Küsten treiben scheinbar ziellos auf dem Wasser, warten geduldig, bis eine gute Welle kommt. Dann gleiten sie wie spielende Delfine.

Die deutschen Surfer müssen perfektionistische Techniker unter Hochspannung sein, um auf der extrem schmalen Wellenbreite hin und her manövrieren zu können. Sie dürfen keine Sekunde vergeuden, denn der nächste Wellenreiter wartet schon. Sie wollen nicht eins mit der sich statisch auftürmenden und brechenden Wassermasse sein, sie fangen ab der ersten Hundertstel Sekunde Wasserberührung an, gegen das Element zu kämpfen, bis es sie abwirft.

Wenn ein Portugiese „Surfen“ sagt, hat das wenig mit dem zu tun, was ich hier von der Kanalbrücke aus unter mir beobachte (am Atlantik müsste ich eine Möwe sein, um Surfer so zu sehen).

Das Leben in Deutschland aus dem Süden betrachtet steckt voller solcher Situationen, in denen Südeuropäer den Kopf schütteln und Kommunikationspannen entstehen. Wir benutzen zu oft wörtlich übersetzte Ausdrücke und meinen doch ganz verschiedene Dinge – von der Wiege bis zum Friedhof (in Deutschland eine grüne Parkfläche mit Bäumen, im Süden ein knochenweißes Areal mit Miniaturbauten aus Marmor und Stein).

Liebespaare in Deutschland joggen am Wochenende durch die grünen Parks, in meinen Städten im Süden sitzen sie am Strand und schauen in den Sonnenuntergang. Beim Ausdruck Sparpolitik denkt ein Deutscher an eine bessere Zukunft. In den lateinischen Sprachen bedeutet der von dieser Krise geprägte Ausdruck Austerität ursprünglich ein Leben, das „dunkel“, „unflexibel“ und „nicht auszuhalten“ ist. Im Griechischen bedeutet Austerität etymologisch einfach Bitterkeit. Nur Deutsche sehen rosafarbene, lächelnde, pralle Sparschweine.

Das deutsche Ordnungsdenken begnügt sich mit der wörtlichen Übersetzung der südlichen Realität und will diese dann nach deutschen Bedeutungen, nach Luther, Grimm, Merkel und Schäuble geradebiegen und retten. Wenn Frau Merkel mit einem Kind ein aufgeschlossenes Gespräch über die Grenzen der humanitären Solidarität respektive juristischen Status quo und Realpolitik führt, sieht die restliche Welt nichts als eisige deutsche Kälte und Gefühllosigkeit. Aber sie hat doch nur die Wahrheit gesagt, oder? Das Leben ist nicht alphabetisch geordnet, Verben werden nicht überall gleich gebeugt, und was für die einen Ordnung ist, empfinden andere als Pervertierung des Lebens. Das Mittelmeer und der Atlantik lassen sich nicht per Dekret oder Diktat in einen deutschen Bach oder Kanal ein­trichtern. Sonst werden aus Kommunika­tions­­pannen, wenn wir nicht aufpassen, Kriege.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen