: Mittellos in Hollywood
Der Theorie-Hauptfilm fiel aus, nett geplaudert wurde trotzdem. Am Mittwoch diskutierten die Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser, Geoffrey Nowell-Smith und Peter Krämer über die Filme der New-Hollywood-Retrospektive
Wenn es nach dem bekannten Filmwissenschaftler David Bordwell ginge, könnten wir uns die diesjährige Retrospektive getrost in die Haare schmieren. Vergiss New Hollywood! Bordwell, der auch hierzulande gern und oft zu Vorträgen geladen wird, ist der prominenteste Vertreter jener Haltung, das ganze Gerede von New Hollywood, vom Aufbruch im US-Kino zwischen 1967 und 1976, sei eigentlich nur eine Fehlinterpretation des Old Hollywood. Von wegen Revolution. Nix da mit der Garde junger Regisseure, die das europäische Kunstkino erstmals in die US-Studios verpflanzt hätten. Hat sich was mit neuer Filmsprache, dem „Pathos des Scheiterns“ oder dem Einfluss von Vietnam. Tatsächlich sei all das schon im Kern des Hollywoodsystems angelegt und irgendwie schon mal da gewesen.
Zum Glück aber spielt der omnipräsente Bordwell diesmal keine Rolle. Als akademische Mehrzweckwaffe konnte für die Diskussionen zur Retrospektive der nicht minder prominente Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser gewonnen werden, der wie ein Gegenpol zu Bordwell etliches zum New Hollywood entwickelt hat. Am Mittwoch betrat Elsaesser zum zweiten Mal binnen weniger Tage ein Podium zum Thema – diesmal um sich, moderiert von Johann N. Schmidt, mit seinen Kollegen Geoffrey Nowell-Smith und Peter Krämer über die Entwicklung „von New Hollywood zum postklassischen Kino“ zu unterhalten.
Nun sind Podiumsdiskussionen immer eine luftige Angelegenheit; und wenn der Titel eine Reise „von … zu …“ verspricht, darf man sich auf freies Assoziieren gefasst machen. So kam es dann auch. Zwischen „von“ und „zu“ suchte sich jeder seine Vorlieben heraus, die in kleinen Vorträgen stets eine Art Trailer zu jenem Theorie-Hauptfilm abgaben, der hier aus Zeitgründen nicht gezeigt werden konnte.
Geoffrey Nowell-Smith machte nicht nur den Anfang, sondern legte in einer zurückgelehnten „no sweat“-Haltung auch das Klima der Veranstaltung fest. Locker, eher plaudernd als um harte Definitionen ringend, ging es ihm um die derzeit galoppierende Auflösung des Begriffs „national“ in Sachen Filmkultur und -industrie. Gerade als sich zu klären begann, wie er „die Wirklichkeit des postnationalen, globalisierten Films des frühen 21. Jahrhunderts“ versteht, war auch schon Schluss, und Peter Krämer ging nahtlos über ins Jahr 1948.
Damals waren die großen Hollywoodstudios mit dem „Paramount-Urteil“ zum Verkauf ihrer Kinos und zu einer Neugliederung ihrer Unternehmen gezwungen worden – der Anfang vom Ende des Studiosystems.
Von hier aus beschrieb Krämer die Krise Hollywoods, die in den Aufbruch des New Hollywood von „Bonnie and Clyde“, „The Conversation“ oder „Two-Lane Blacktop“ mündete. Just dort angekommen, wurde der Staffelstab auch schon weitergereicht: Podiumsendspurt in Richtung des aktuellen, postklassischen Blockbuster-Kinos. Mit der weitaus höchsten Thesendichte umriss Thomas Elsaesser kurz die Veränderungen des aktuellen Genrekinos, deutete unter anderem die derzeitige Fantasywelle als Selbstreflexion globalisierter Gesellschaften an und landete bei der „Modernisierung des Körpers“ im neuen Hollywoodfilm. Das ging so schnell, dass die schönste These unterging: Wir, und damit meinte Elsaesser sich und seine Kollegen der Akademia, haben überhaupt keine Mittel, das aktuelle populäre Kino zu verstehen.
Spätestens hier hätte die Grundlagendiskussion beginnen können. Wie erschließen wir uns Filmgeschichte und -gegenwart und wie werden die Begriffe „New Hollywood“ und „postklassisches Kino“ eigentlich gegeneinander abgesetzt? Doch dem Abend war nicht recht nach Diskussion. Es blieb die Montage kurzer Einblicke – schnelle Schnitte zwischen verschiedenen Diskursfeldern, deren Zusammenhänge zuallererst von uns selbst geleistet werden müssen. Und in diesem Sinne war die Veranstaltung auf ihre Art selbst „postklassisch“. JAN DISTELMEIER