■ Mitteilungen aus der äußersten Mongolei, Folgelieferung: Gewisses Element der Leichtigkeit
Am 9. September vergangenen Jahres berichtete Helmut Höge an dieser Stelle über die Modernisierungsprozesse in der Mongolei. Anlaß war das Zusammentreffen mit Dondogyn Batjargal, Chefredakteur einer mongolischen Jugendzeitung, der drei Monate lang Hospitant in der taz war. Kürzlich sind sich die beiden in Berlin erneut begegnet: Gelegenheit, mehr über dieses ferne Land zu erfahren.
Die Wahrheit über die Möglichkeiten (in) der äußersten Mongolei – wo es angeblich mehr Pferde als Menschen gibt – erschließt sich einem erst nach und nach. So scheint die neue Selbständigkeit und Marktwirtschaft dort Ausdruck eines Generationenkampfes zu sein. Dieser begann – während der Perestroika – mit einer Jugend-Protestdemonstration in Ulan-Bator, die von der Komsomol-Zeitung unterstützt wurde, bei der der Philologe Batjargal neuer Chefredakteur wurde. Von ihm war auf dieser Seite schon einmal die Rede – anläßlich seiner dreimonatigen Hospitanz in der taz während eines europäisch-asiatischen Journalistenaustausches im Sommer 1997.
Vor kurzem kam Batjargal erneut nach Berlin – auf dem Rückweg von einem dreimonatigen Englischkurs in Washington. Amerikanische Zeitungen behaupteten zur gleichen Zeit, daß auch der mongolische Ministerpräsident mit seinen Beratern oft und gerne Washington besuche: Mehrere US-amerikanische Ölkonzerne buhlen derzeit um Konzessionen für die mongolischen Erdölvorkommen. Einer ihrer Sprecher versprach bereits voreilig: „Die Mongolei wird das neue Kuwait Asiens.“
60 Zeitungen für 700.000 Hauptstädter
Zuvor war es zu einem landesweiten Studentenstreik gegen eine erneute Erhöhung der Studiengebühren gekommen. Zwar gab die Regierung nach und verabschiedete eine Gebührenstaffelung. Aber mongolische Studenten müssen dennoch bis zu 350.000 Tugruk jährlich zahlen (zum Vergleich: Ein Industriearbeiter verdient monatlich 80.000 Tugruk, ein Lehrer 60.000 – etwa 150 Mark). Dennoch hat sich die Studentenzahl in der Mongolei mittlerweile mehr als verdoppelt – auf 56.000. Und es gibt viele neue – teilweise private – Studieneinrichtungen.
Vier Monate nach dem Studentenhelden-„Tag der Demonstration“ (am 10. Dezember 1989) trat das Politbüro zurück, und es fanden freie Wahlen statt. Batjargal nahm wenig später bei der Staatsbank einen Privatkredit auf und gründete eine eigene Jugendzeitung: Super. Seit 1990 entstanden auch viele neue Musikgruppen. In ganz Asien berühmt ist mittlerweile die Sängerin Saratoya und ihre Band. Obwohl es in der Mongolei doch noch verhältnismäßig ruhig zugeht, besingt sie gerne die Stille der Wüste Gobi. Super erledigt ihre Fan-Post. Sie selbst soll sich von ihrem Freund getrennt haben und jetzt in Berlin leben. Hier wird gerade auch ein mongolisches Handelszentrum aufgebaut.
In Ulan-Bator entstand 1993 mit Unterstützung Dänemarks eine neue hochmoderne Zentraldruckerei. Auch deshalb gibt es dort inzwischen eine Reihe weiterer Jugendzeitungen – wie Hello, Dein Bild und Hollywood (insgesamt erscheinen in der mongolischen Hauptstadt mit ihren 700.000 Einwohnern 60 Zeitungen). Die Auflage von Super sank von 20.000 auf nun stabile 10.000. Batjargal ist nur noch Chefredakteur, daneben arbeitet er weiter an der Komsomol-Zeitung mit. Anstelle des (sowjetischen) Komsomol steht dahinter jetzt ein neuer Jugendverband mit 100.000 Mitgliedern, der sich der „Asian Pacific Youth Organization“ verbunden fühlt.
So ist die Einreise nach Rußland für Mongolen nun visumpflichtig, in viele asiatische Länder dagegen -frei. Früher war es genau umgekehrt. Und immer mehr mongolische Studenten verdienen sich ihr Studiengeld in Südkorea, Malaysia, China oder Singapur. In Singapur befindet sich auch die CD-Produktion-Firma von Saratoya.
Verblüffender Optimismus
Während eines Interviews, das Batjargal neulich der Berliner Zeitung Junge Welt gab, waren die Redakteure von seinem unkritischen Pop-Engagement leicht irritiert. Auch Batjargals Sicht auf die Mongolei – der zu den sogenannten „neuen (unternehmerisch tätigen) Mongolen“ gehört und nebenher gelegentlich auch Männer- bzw. Frauen-Contests sowie Umzüge veranstaltet – war merkwürdig optimistisch. Merkwürdig deswegen, weil er seinen Interviewern all die typischen Probleme einer „Transformationsgesellschaft“ schilderte, die den Redakteuren des ehemaligen FDJ-Zentralorgans nur allzu geläufig waren: Arbeitslosigkeit, Jugendkriminalität, Prostitution, Alkoholismus, Obdachlosigkeit usw.
Auch seine Super berichtet gelegentlich über diese Themen – aber sie werden nicht pessimistisch beschworen. Wie etwa in der taz, die von Batjargal einen Mongolei- Artikel – ausschließlich über das Elend von Straßenkindern – verlangte. Er schrieb ihn dann auch, sogar auf deutsch. Was immerhin dazu führte, daß er – zumindest in den Augen der Austauschkoordinatorin in Bonn – seinen Stipendiumsplan quasi überfüllt hatte, woraufhin sie ihn für ein Anschlußstipendium in Erwägung zog. Batjargals vierzehnjährige Tochter Angara besuchte im letzten Sommer die Berliner Love Parade. Obwohl sie kein Deutsch sprach, konnte sie bereits nach drei Wochen die Kreuzworträtsel der Bravo lösen. Jetzt spendierte Batjargal ihr einen Deutschkurs in Berlin.
Daß in der Mongolei viele Dinge sozusagen über die Jugend entschieden werden, hat wohl auch damit zu tun, daß über 70 Prozent der Bevölkerung (von insgesamt 2,3 Millionen) unter 35 Jahre alt sind. Auch in der (reorganisierten) Kommunistischen Partei setzten sich „die Jungen“ durch.
Viehzucht und weitgreifende Folklore
Andere Überlegungen zur mongolischen Kultur gehen dagegen von den leichten, schnellen Pferden aus. Anders als bei den Kirgisen, von denen Tschingis Aitmatow gerade in Berlin behauptete, sie seien nun aus schierer Not gezwungen, wieder nomadisch zu leben, bildet die Viehzucht samt ihrer weitgreifenden Folklore bei den Mongolen eine nationale Klammer. Das Fleisch gehört heute zu den wichtigen Exportgütern des Landes. Immer mehr japanische Hunde leben zum Beispiel von mongolischen Pferden. Fast jeder reisende Mongole hat ein Leinensäckchen mit pulverisiertem Rindfleisch im Gepäck sowie Fruchtbonbons und Wodka der Marke „Dschingis Khan“ – als Gastgeschenk.
Den Mongolen scheint es gegeben, in die allgemeine Schwere der postsowjetischen Jetztzeit ein gewisses Element der Leichtigkeit zu tragen: „Die Ausländer wundern sich immer wieder, wie gut die Stimmung bei uns ist“, sagte neulich eine mongolische Studentin, die in Berlin Germanistik studiert und Batjargal am Flughafen Geld für sein Übergepäck lieh (er hatte für Angara neue Inline-Skater gekauft). Jeden Sonntagmittag landet bzw. startet in Berlin-Schönefeld ein Flugzeug von und nach Ulan-Bator. Wenn man mehrmals jemanden dorthin begleitet hat, fragt man sich, warum man nicht einfach mitfliegt. Helmut Höge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen