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Nicht bloß hübsche Lieblichkeit: Das Kulturgeschichtliche Museum in Osnabrück zeigt Friedensreich Hundertwasser – und nutzt ihn für einen umweltpädagogischen Appell

Kunst-Welt ohne gerade Linien: „Mit der Liebe warten tut weh“, Farbserigrafie (1971–72) Foto: Foto © 2025 Namida AG, Glarus, Schweiz

Von Harff-Peter Schönherr

Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt: Wer diesen Namen hört, hat wohl sinnesschmeichelndes Farbglühen vor Augen, von geheimnistiefem Dschungelgrün bis zu brennendem Wüstenorange; denkt an Goldglitzer und Spiralformen. Eine Wortfolge ist das, für sich allein schon ein wundervoll kryptisches Kunstwerk.

Hundertwasser also: Ist das nicht dieser visionsgeladene Umweltakti­vist, exzessive Verfasser von Manifesten, verspielte Revolutionär für eine Architektur ohne gerade Linien? Dieser naturmystifizierende Weltreisende, Schiffsbewohner und Bäumepflanzer, Protestkampierer und Anti-Kernkraft-Redner? Oder doch dieser freakige Aktionskunst-Avantgardist, dessen ornamental dekorative Grafiken sich ins Wohnzimmer hängt, wer sich nicht stört an der Verehrung ihres Urhebers für die Habsburg-Monarchie?

Alles richtig. Und das Kulturgeschichtliche Museum Osnabrück hätte es sich leicht machen können mit seiner derzeitigen, 80 Arbeiten umfassenden Ausstellung: ein paar hübsche Motive, ein paar exotische Biografie-Details, fertig. Glücklicherweise geht man im örtlichen Museumsquartier (MQ4) aber einen anderen Weg: „Friedensreich Hundertwasser – Paradiese kann man nur selber machen“ ist ein intergenerationeller Appell, ein Aufruf zur Entwicklung von Utopie-Hoffnung, zur Geburt und Verwirklichung von Träumen. Hundertwasser ist dabei nicht der Kern, sondern die Plattform. Und das ist gut so.

Die Zielgruppe sind Kinder – als diejenigen, die ihren Eltern die Augen öffnen können. Ihnen wird eine Entdeckungsreise geboten durch eine Welt, die nicht immer nur schön ist, nicht immer nur positiv; eine, die auch Bedrohungen zeigt oder Fehl­ent­wicklungen. Das Verspielte spielt uns hier nichts vor, das Hübsche verschleiert hier nichts. An einer Wand steht, zum Frieden mit der Natur: „Friedensgespräche mit der Natur müssen bald beginnen, sonst wird es zu spät sein“, ein Satz Hundertwassers von 1980. Er gilt heute mehr denn je.

Wer sich auf die Reise begibt, also die Schau erkundet, erfährt Impuls auf Impuls: Umkehr ist nötig, Rettung, Heilung, innerer Neuaufbruch. Wie das gehen könnte, lässt sich gleich erproben in der realen Welt: Wer dem Kassenpersonal unten am Eingang, beim Museumsshop – derzeit von Hundertwasser-Merchandise dominiert – das Lösungswort der Ausstellungs-Rallye nennt, bekommt ein Tütchen Seedbombs, kleine Kugeln aus Erde, Tonpulver und – Blumensamen. „Das kann man ja gleich in der Stadt verteilen“, sagt Nils-Arne Kässens, Direktor des MQ4. Und nennt es einen „ziemlich subversiven Akt“.

Ausstellung „Friedensreich Hundertwasser – Paradiese kann man nur selber machen“: bis 31. 8., Museumsquartier Osnabrück/Kulturgeschicht­liches Museum

Öffentliche Führungen (jeweils um 15.30 Uhr):

So, 29. 6. (mit Übersetzung in deutsche Gebärdensprache); So, 27. 7.; So, 31. 8. (für Familien, mit Betreuung für Kinder ab 4 Jahren)

www.museumsquartier-­osnabrueck.de

Natürlich kann man auch einfach nur von Werk zu Werk gehen, von der Serigrafie bis zum Architekturmodell, vom Foto bis zum Plakat. Aber die Ausstellung, die uns mit einer Kunstfigur konfrontiert, die sich hoch programmatisch von ihrem bürgerlichen Namen befreit hat, fordert mit Fragen heraus: „Wie lautet dein neuer Name?“, lautet eine. Hinzu kommen Partizipations-Stationen: Ein stilisiertes Haus etwa animiert dazu, das eigene „Fensterrecht“ auszuüben, auf sterilen Fassaden Kunst zu erschaffen, auf Armeslänge um die Fensteröffnung herum.

Wer will, kann seinen „Beitrag zu einem Friedensvertrag mit der Natur“ aufschreiben oder eigene Paradiesvorstellungen skizzieren, und an einem ausladenden Baum mit allen teilen. Oder auf schwarzen Tischen, die natürlich keine geraden Linien aufweisen, „Schönheitshindernisse“ zeichnen, um die Besuchenden zu verlangsamen. Denn: Wer das Leben durcheilt, dem entgeht es.

Die Zielgruppe sind Kinder – weil sie ihren Eltern die Augen öffnen können

An den teils dunkelbunten Wänden sind Denkanreize zu lesen, das Wort „Traumrecht“ etwa. Und wer klein ist, kann sich auf Hocker stellen, um den Bildern näher zu sein – zumindest ein kleines, bei manchen Hängun­gen eher symbolhaftes Bisschen.

„Paradiese kann man nur selber machen“ ist eine betont pädagogische Schau. Sie bietet Workshops zum Bau von Insektenhotels und Rankhilfen, natürlich im Hundertwasser-Stil. In Schulen kommt eine „Abenteuerkiste“ zum Einsatz, die sich zu Hundertwassers Segelschiff „Regentag“ umbauen lässt, mit dem er fast überall hin reiste, vom Mittelmeer bis Tahiti.

Typisches Farbglühen: Friedensreich Hundertwasser, „Irinaland über dem Balkan“ (1972) Foto: Foto © Nakida AG, Glarus, Schweiz

Aber bei Hundertwasser muss man Obacht geben. Nicht nur bei seiner Esoterik. Auch manche seiner Arbeiten wecken Skepsis: Die liebliche Dekorierung der Wiener Müllverbrennungsanlage Spittelau zum Beispiel, ab Ende der 1980er. Nicht alles, was glänzt, ist Gold, auch nicht bei Hundertwasser.

„Lasst die Kinder sprechen“, habe der Künstler gesagt, erklärt das MQ4 zur Frage, was diese „Familienausstellung“ inspiriert habe. Ob sich die Kinder, die sie nun durchstreifen, wohl in Hundertwassers eigene, uneheliche Tochter versetzen können? Sie hat ihren Vater nie kennengelernt – Zeit seines Lebens hat er ihr das verweigert.

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