MitarbeiterInnen vor Kündigung: Kein Geld für Bremer Fluchtraum
Der Verein Fluchtraum, der sich um unbegleitete Flüchtlingskinder kümmert, scheitert mit Finanzierungs-Antrag.
Schock beim Verein „Fluchtraum Bremen“: Am Donnerstag erhielten die MitarbeiterInnen eine Absage über eine Förderung durch EU-Mittel. 100.000 Euro hatten sie für drei Jahre beantragt. Fluchtraum kümmert sich um die Belange unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und vermittelt und hilft Familien, die deren Vormundschaft übernehmen wollen. Mit der Absage über die EU-Gelder fallen auch 14.000 Euro pro Jahr weg, die die Stadt Bremen ihnen dazugeschossen hätte.
„Ich kann es gar nicht fassen“, sagt Sylvia Pfeiffer. Seit März teilt sie sich mit zwei weiteren MitarbeiterInnen zwei Vollzeitstellen, die der Verein in Erwartung einer Zusage der EU-Förderung geschaffen habe. Ihre Stellen seien nun akut in Gefahr. „Wir wollten die Zeit bis zur EU-Finanzierung mit unseren Spendengeldern überbrücken“, so Pfeiffer.
Der Verein habe fest mir einer Zusage gerechnet, weil der Hilfebedarf für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge so groß sei, sagt Pfeiffer: „Die Zahlen steigen bundesweit und besonders in Bremen weiter an.“ Die Vereinskasse reiche nun allerhöchstens noch für ein paar Monate. „Dann müssen wir wieder zu der sehr eingeschränkten ehrenamtlichen Tätigkeit zurück“, sagt Pfeiffer.
Dabei erfährt Fluchtraum Bremen von allen Seiten höchste Anerkennung. Die Vermittlungsarbeit des Vereins ist für die Sozialbehörde eine direkte Entlastung: 90 ehrenamtliche Vormünder und MentorInnen betreut der Verein derzeit.
„Wir bekommen täglich zahlreiche Anrufe und beraten die Familien“, so Pfeiffer. Sie würden auf Veranstaltungen für die Vormundschaft werben, gingen in die Schulen, um dort zu beraten. Neben den täglichen Telefonzeiten gebe es einmal in der Woche eine offene Beratung. „Ehrenamtlich können wir das alles gar nicht leisten“, so Pfeiffer.
Zuletzt hatte Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) im Rahmen einer taz-Diskussionsveranstaltung den Verein gelobt. Die Stadt ist mit der Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge überfordert. Während nach Angaben des Senats 2013 noch 200 unbegleitete Minderjährige nach Bremen flüchteten, waren es 2014 bereits 450. Für 2015 geht das Sozialressort insgesamt von einem Zuzug von 800 bis zu 1.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus.
Gerade in dem Bereich, in dem Fluchtraum wirkt, ist es in der Behörde besonders eng: Bis zu drei Monate dauert es, bis ein Amtsvormund für die Kinder bestellt wird. Die Fälle stauen sich. Die Amtsvormünder im Amt für soziale Dienste sollen zeitweise für bis zu 70 Kinder oder mehr verantwortlich gewesen sein. Für sie war Mitte 2012 gesetzlich eine Obergrenze von 50 zu betreuenden Kindern festgelegt worden. In einer Senatsantwort vom April hieß es dazu: „Aufgrund des hohen Zustroms“ und „teilweiser Personalfluktuation“ gestalte sich dies als „schwierig und kann nicht immer eingehalten werden“.
Das Sozialressort hatte darauf bereits reagiert und für die Amtsvormundschaft mehrere Stellen neu ausgeschrieben, für die sich aber lange keine geeigneten Bewerber fanden. Auch in der Zentralen Aufnahmestelle sind bis zu 150 Jugendliche untergebracht und bleiben in der Massenunterkunft länger als geplant - laut Senat bis zu sechs Monate.
Beworben hatte sich Fluchtraum nun zusammen gemeinsam mit einem Kooperationspartner aus Wuppertal bei dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der Europäischen Union. Dieser hat unter anderem die „Identifizierung und Betreuung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge“ zum Schwerpunkt. Das Projektvorhaben habe laut Pfeiffer anscheinend nicht die nötige Bewertung gegenüber anderen Projekten erhalten. Die EU finanziert grundsätzlich nur 75 Prozent der Projekte, der andere Teil wäre von der Stadt gekommen.
Auf Nachfrage der taz sagte Sozialressortsprecher Bernd Schneider, ihn überrasche die Entscheidung: „Fluchtraum leistet einen ganz wichtigen Beitrag zur Aufnahme junger Flüchtlinge“. Die 33.000 Euro pro Jahr, die aus dem EU-Fond gekommen wären, ließen sich aber „nicht aus der kommunalen Portokasse ersetzen“, so Schneider. „Wir brauchen jetzt etwas Zeit, um zu beraten, wie wir mit der veränderten Situation umgehen.“
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