american pie : Mit neuem Schwung zu alter Klasse
Nach dem schlechtesten Jahr seiner Karriere hat der Profigolfer Tiger Woods 2005 schon zwei Turniere gewonnen und die Spitze der Weltrangliste zurückerobert
Die New York Times hatte genau mitgezählt. Als Tiger Woods und Phil Mickelson in der Schlussrunde des Doral-Golfturniers in Miami den Sieg unter sich ausfochten, zeigten die Kameras von NBC an den letzten vier Löchern 42-mal Mickelsons Gesicht in Großaufnahme, das von Woods jedoch 49-mal. Glatte vier Minuten länger war dessen Antlitz im Bild, das noch genauso jungenhaft wirkt wie vor achteinhalb Jahren, als Woods in Las Vegas sein erstes Profiturnier gewann. Kaum zu glauben, dass er inzwischen 29 sein soll.
Im Golf ist das natürlich kein Alter, dennoch hatte Tiger Woods in den letzten beiden Jahren deutliche Ermüdungserscheinungen gezeigt. Nun ist er wieder da, was nicht nur die Kameraleute von NBC freut. Der Sieg von Miami im direkten Duell mit dem großen Rivalen „Lefty“ Mickelson, Masters-Gewinner 2004, war nicht nur bereits sein zweiter Erfolg in diesem Jahr, sondern hievte ihn auch an seine angestammte Position, die er 26 Wochen lang verlassen hatte. Woods ist wieder die Nummer eins der Weltrangliste, was der bisherige Platzhalter Vijay Singh aus Fiji mit Erleichterung quittiert. „Wenn du dich darauf konzentrierst, die Nummer eins zu sein, versuchst du nicht mehr, Golfturniere zu gewinnen. Dieses Gefühl mag ich nicht“, sagte Singh, der Dritter in Miami wurde.
„Das hat Spaß gemacht, das war elektrisierend“, freute sich Tiger Woods, nachdem er vor 35.000 begeisterten Zuschauern in einem der packendsten Golfduelle der letzten Zeit Mickelson, der zu Beginn der letzten Runde noch zwei Schläge vor ihm lag, um einen Schlag bezwungen hatte. Dies bei einem Turnier, an dem von den besten zwölf Spielern der Welt nur Ernie Els nicht teilgenommen hatte. Am 7. April beim Masters in Augusta wird auch der Südafrikaner am Start sein, und als Einstimmung für das erste Major des Jahres betrachteten die meisten Akteure den Auftritt in Florida denn auch. „Wenn du der West Coast den Rücken kehrst und zu diesen weichen Greens hier kommst“, sagte Woods, „dann wandert dein Sinn sofort nach Augusta, denn dort gibt es die weichsten und schnellsten Greens.“ Mickelson wiederum betrachtete das Doral-Turnier als Test, um zu sehen, „ob ich auf dem höchsten Niveau spielen kann“, und fügte in Hinblick auf die Players Championship Ende März in Ponte Vedra und das Masters in Georgia hinzu: „Ich werde bereit sein.“
Bereit sein wird auch Tiger Woods, der seine anhaltende Krise offenbar endgültig überwunden hat. 2004 war das schlechteste Jahr seiner Karriere, er, der einmal vier Major-Turniere in Folge gewonnen hatte, konnte kein einziges für sich entscheiden und schaffte insgesamt nur drei Turniersiege, zwei davon erst gegen Ende des Jahres. „Schritt für Schritt“ habe er „kleine Verbesserungen“ erzielt, sagte Woods im Dezember, als er wenigstens bei seinem Heimturnier im kalifornischen Thousand Oaks siegreich war. Diese Verbesserungen scheinen jetzt zu greifen.
Erstmals in seiner Laufbahn hat Woods hart an seinem Spiel gearbeitet, nachdem ihm Kritiker lange vorgeworfen hatten, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Während die Konkurrenten nach Mitteln suchten, die Dominanz des Kaliforniers und vor allem seine Überlegenheit bei der Weite der Drives zu brechen, ihre Muskeln aufpäppelten und mit neuem Material experimentierten, vertraute Woods auf Altbewährtes. Erst als die Defizite offenkundig wurden, schritt er zur Tat, ließ sich vom Ausrüster Nike einen neuen Driver konstruieren und feilte an seinem Schwung. Mit Erfolg, wie es scheint. In Miami gelangen ihm wieder die gewohnt monströsen 300-Meter-Schläge, und meist landeten sie sogar auf den Fairways. Am 16. Loch (Par-4) wuchtete er den Ball mit dem ersten Schlag bis aufs Green, am 12. Loch überwand er auf der Schlussrunde die 603 Yards mit drei Schlägen und schaffte einen vorentscheidenden Eagle.
Bei den Majors sind die Kurse zwar tückischer und erfordern präziseres und damit auch defensiveres Spiel, doch klar ist, dass sich die Golf-Fans auf weitere packende Showdowns zwischen Tiger Woods und seinen ärgsten Verfolgern Mickelson, Singh, Els oder Goosen freuen können. MATTI LIESKE