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■ Mit der ukrainischen Geldnot auf du und duWesten beunruhigt

Berlin (taz) – „Die Ukraine durchlebt eine beispiellose Wirtschaftskrise, die eine Bedrohung für unsere Unabhängigkeit, ja selbst für das Überleben des ukrainischen Volkes darstellt“, hatte Präsident Leonid Kutschma vor zwei Wochen das Parlament in Kiew gewarnt. Das Bruttosozialprodukt ist in der ersten Hälfte 1994 gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent gesunken, die Reallöhne sind um fast zwei Drittel geschrumpft, und gegenüber dem ukrainischen Karbowanez ist der russische Rubel eine nachgerade harte Währung. Das beunruhigt inzwischen auch die Regierungen westlicher Industrieländer. Gestern kamen darum im kanadischen Winnipeg die Vertreter der sieben größten Industrienationen (G7) eigens zusammen.

Der IWF hat schon gehandelt und der Ukraine am Mittwoch einen Kredit in Höhe von 360 Millionen Dollar (540 Mio. DM) bewilligt. Angesichts der 2,5 Milliarden Dollar Schulden, mit denen die Ukraine allein für Öl- und Gaslieferungen aus Rußland in der Kreide steht, nicht viel. Aber immerhin ein Signal: Die Europäische Union und die USA schließen sich dem IWF vielleicht mit 200 Millionen und 150 Millionen Mark an.

Geld vom IWF gibt es nicht einfach so. Der vor wenigen Monaten gewählte Präsident Kutschma mußte dafür marktwirtschaftliche Reformen versprechen. Vergangene Woche billigten die mehrheitlich sozialistischen und kommunistischen Abgeordneten Haushaltseinsparungen, ein Privatisierungsprogramm und die weitgehende Aufhebung der Außenhandelsbeschränkungen.

Daß der bisherige ukrainische Kurs, krampfhaft so zu tun, als ob es die Sowjetwirtschaft noch gäbe, nicht weitergehen kann, das macht der ökonomische Kollaps deutlich genug. Doch werden die unumgänglichen Reformen zunächst einmal noch zu einer weiteren Verschlimmerung der Lebensbedingungen der UkrainerInnen führen. Und selbst wenn sich dann mittelfristig Produktion und Exporte steigern lassen, so profitiert davon allenfalls die wirtschaftlich vergleichsweise weit entwickelte Westukraine. Im Osten des Landes mit seiner maroden Rüstungsindustrie könnten dann separatistische Tendenzen aufflammen. „Sollte die Ukraine nicht genug Auslandshilfe erhalten, werden wir der Bevölkerung kaum begreiflich machen können, daß ihr Lebensstandard erneut sinkt“, sagte ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums in Kiew mit unverkennbar drohendem Unterton. Nicola Liebert

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