piwik no script img

Mit der Sachsensiedlung auf du und duBrunnen-Glück?

■ Focke-Museum zeigt das Bremer Graben

Neben dem Gold der Sumerer, Nofretetes geheimsvoller Büste und all den anderen archäologischen Ausstellungshits muten die Hinterlassenschaften der Germanen eher bescheiden an. Ein typisches dreischiffiges Wohn- und Stallhaus der Sachsen aus Holzpfählen und Flechtwerk prägt der Erde gerade mal ein paar Fluchtlinien dunkler Flecken ein – der Archäologe nennt's „Verfärbungen“. Dementsprechend besteht das Tagesgeschäft des Germanenforschers nicht zuletzt im genauen Kartographieren dieser – reichlich abstrakten – Zivilisationskleckse auf Millimeterpapier.

Auf solch unspektakuläre und dennoch aufschlußreiche Weise durchforstet Landesarchäologe Manfred Rech acht Hektar Grund bei Kirchhuchting, gerade noch rechtzeitig bevor unsere Reihenhaus- und Appartmentzivilisation ab Herbst/Winter 1997 endgültig den Zugang zu unserer Vergangenheit versiegelt. Seit über eineinhalb Jahren sehen die Kirchhuchtinger fünf bis sechs Archäologiestudenten beim Schaben, Graben, Vermessen einer Sachsensiedlung um 400 n. Chr. zu und staunen: „Was tun Sie hier eigentlich“.

Zur Antwort hat Rech für einen Monat ein kleines Eck des Focke-Museums reserviert, um Vorgehen und Ergebnis der Forschung zu dokumentieren. Zu sehen sind zwei Gewandfibeln, ein paar Tonscherben und eben ein deutungswilliger Grundriß: ein Graben ums Haupthaus diente wohl als Regenabfluß. Ein 45 Meter langer Graben etwa weist auf einen Viehkraal hin. Zivilisation manifestierte sich auch früher schon im Buddeln – nicht erst bei unseren Archäologen. Rennfeueröfen erzählen von Eisenverhüttung.

Ziemlich autark muß diese Ansiedlung gewesen sein. Des Archäologen besonderes Glück sind Brunnen, gigantische Abfalleimer der Jahrhunderte. In ihnen sammeln sich zum Beispiel auch Pflanzenpollen. Die gehen zur Analyse nach Göttingen. Das Eichenholz, das den Brunnenschacht abstützte, wird dagegen in Kiel untersucht. Weit gestreut sind die Spezialisten der archäologischen Zunft.

Wie bei vielen anderen Siedlungen des Kirchhuchtinger Typs brechen Zivilisationspuren im 5. Jahrhundert ziemlich abrupt ab. Als Söldner im Heer des untergehenden römischen Reichs hatten die Sachsen die Gelegenheit, Großbritannien kennenzulernen. Und als sich dann die Römer von dort zurückzogen, nutzten die Sachsen ihre Chance, schifften über den Kanal, um den freigewordenen Besiedlungsraum zu okkupieren.

Ein Grabungsort, wie der von Huchting, ist für die Archäologie bedeutsam, weil er neue Details zu diesen Wanderungen, ihren Richtungen und Zeiten verrät. Die Schrägrillung der Tontöpfe von Huchting findet sich etwa auch in Großbritannien wieder, der Häusergrundriß ähnelt dem des niederländischen Wijster. Die Huchtinger Fibelform hingegen wurde nicht „nach drüben“mitgenommen.

Eine Kultur kurz vor dem großen Exodus ist also in der schmalen, bescheidenen Vitrine des Focke-Museums zu besichtigen. Wir erfahren etwas über die Grundfunktionen, Essen, Schlafen, Arbeiten. Und weiter?

„Dieser Schlüssel hier: der zeigt uns, daß Sicherheitsbedürfnis und Mißtrauen schon damals existierten“, meint Rech. Auch bei den Sachsen also kein goldenes Zeitalter. Wer hätte das aber auch schon anders erwartet!?

Aus einem Foto lächeln dem Museumsbesucher griechische Archäologiestudenten entgegen. „Weil es Deutsche waren, die um 1900 die Archäologie in Griechenland - Delphi, Olympia - mitentwickelten, stehen wir dort in hohem Ansehen.“Ist die Flecken-Forschung für die nicht langweilig? „Nein, die lernen bei uns neue Techniken kennen, zum Beispiel das Fixieren und Abnehmen von Querschnitten durch die Erde.“Auch ein solcher ist im Museum zu sehen. Eigentlich fast so spannend wie Nofretetes Lächeln.

Barbara Kern

Bis Ende Juni im Focke-Museum, Schwachhauser Heerstr. 240

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen