■ Mit der Psychiatriereform auf Du und Du: Weglaufen, Schweigen
Eine der Alternativen zur vollstationären Behandlung von Menschen mit psychischer Erkrankung entstand aus der sogenannten „Soteria“-Bewegung. Soteria (griech.) bedeutet Geborgenheit, Sicherheit, Befreiung und meint in der (Anti-)Psychiatriearbeit: Ersterkrankte und junge Menschen sollen nach Möglichkeit ganz ohne Medikamente – vor allem Neuroleptika – behandelt werden. In einer Wohngemeinschaft oder einem Haus werden die Menschen von BetreuerInnen, Angehörigen, auch Nicht-Professionellen begleitet. Als Herzstück der Soteria gilt dabei das „weiche Zimmer“, ein freundlicher, entspannender, reizgeschützter Raum mit weichem Teppich, Matratzen, großen Kissen. Hier steht das Umsorgtwerden im Mittelpunkt, die Menschen sollen sich in ihren akuten Phasen ausleben – BetreuerIn und „Erkrankte“können im weichen Zimmer sitzen, stricken, schweigen.
Anfang der Siebziger entstand in San Francisco die erste Soteria-Wohngemeinschaft. US-Ableger folgten. Schweden zog nach. In Bern wurde analog dazu der Sozialpsychiatrischen Klinik ein Soteria-Haus angegliedert. Einige Fachkreise in Deutschland fühlten sich animiert, entwarfen Konzepte. Nur ein einziges Soteria-Haus entstand bislang: in Frankfurt/ Oder (siehe Interview).
Auch in Bremen begann eine Arbeitsgruppe mit ÄrztInnen, SozialarbeiterInnen, StudentInnen vor etwa vier Jahren, die Soteria-Idee zu verfolgen. Eine Fachtagung fand statt, ein ausgefeiltes Konzept für ein Haus für acht Personen entstand. Es ist dabei geblieben; die Chefs der Psychiatrie im ZKH-Ost ließen sich nicht überzeugen, ebensowenig die Krankenkassen. Obwohl aus Bern zu erfahren war, daß dort die Menschen durch „Soteria“im Vergleich zur üblichen Medikation stabiler und weniger rückfälliger wurden.
Eine weitere Psychiatrie-Alternative sei kurz erwähnt: In Berlin werden aus der Psychiatrie Weggelaufene im „Weglaufhaus“aufgenommen. Sie finden – meist wohnungslos – dort Zuflucht und werden dabei begleitet, Psychopharmaka schrittweise wieder abzusetzen. Finanziert wird das „Weglaufhaus“– ein Privatmann stellte eine Villa zur Verfügung – über 202,45-Mark-Tagessätze vom Sozialamt. Das Haus wird dort als „Obdachloseneinrichtung mit hohem Betreuungsanteil“gehandelt. 13 Menschen wohnen derzeit im Weglaufhaus, es soll Oase für sie sein: „Verrückt sein anders leben!“lautet die Devise für die im Durchschnitt Anfang 20- bis Mitte 30jährigen. Die Hälfte des 14-köpfigen Personals ist selbst Psychiatrie-erfahren. „Wir brauchen dringend neue Patenschaften und Spenden für das Haus“, sagt Psychologin Daniela Brandner. „Für Kurzgäste, für Leute, die noch eine Wohnung haben, und damit wir Menschen auch prophylaktisch aufnehmen können.“ sip
Soteria AK Bremen, Kontakt Tina Konen, Tel. 498 77 40
Weglaufhaus in Berlin: Tel. 030/ 40 63 21 46
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen