■ Mit der Privatisierung auf du und du: Schrott auf Kreditkarte
Budapest (taz) – Kurz vor Weihnachten machte ein Gerücht in Ungarn die Runde. Die Regierung wolle allen Bürgern eine Kreditkarte über eine Million Forint schenken – also fünfzig Monatslöhne auf einmal. Doch die Hoffnunsvollen wurden bitter enttäuscht. „Die Kreditkarte“, klärten die Medien nun auf, „gibt's nicht umsonst.“ Für zwei Prozent ihres Wertes, also für 20.000 Forint (rund 400 Mark) soll sie nun jeder erwerben können.
Kreditkarte heißt das neue Zauberwort, mit dem Tamas Szabo alle Entstaatlichungsprobleme der Wirtschaft lösen will. Der für die Privatisierung zuständige Minister, der gerade Ende August des vergangenen Jahres ein Privatisierungsgesetz durchs Parlament gehievt hatte, tischte im Dezember neue Vorschläge auf. Die Eigentumsumwandlung müsse „schneller, durchsichtiger, unbürokratischer, effektiver, und vor allem den ungarischen Volksmassen zugänglicher“ verlaufen – mit anderen Worten: Die Kreditkarte muß her.
Die Privatisierungsagentur AVÜ soll eine Angebotsliste aller kleineren und mittleren Unternehmen aufstellen, um deren Kauf sich die Kreditkarteninhaber bewerben können. Der Kredit freilich muß später abgestottert werden, wobei die entsprechende Summe durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Falls die Nachfrage nach den angebotenen Unternehmen groß sei, so Szabo, müßten die Kreditkarteninhaber „vielleicht nur 800.000 oder 900.000 Forint“ zurückzahlen.
Niemand würde dem Privatisierungsminister vorwerfen, er habe gefaulenzt und sich keine Gedanken gemacht. Existenz- Kredit, Start-Kredit, Leasing, Arbeiter-Aktien-Eigentums- Programm, Management-Buy- Out und Teilzahlung – Szabo hat alles versucht, um den breiten Volksmassen die Privatisierung schmackhaft zu machen. Nur funktioniert hat es nicht richtig. Die Privatisierung stockt seit langem, denn die Ungarn haben kein Geld, und verschenken will die Regierung nichts. Doch, schrien die Rechtsnationalen, schließlich habe das Kabinett den Ausländern ihr Land in die Tasche gesteckt. Nur fünf bis zehn Prozent des ungarischen Staatsvermögens seien an ausländische Investoren gegangen, korrigierte Außenwirtschaftsminister Bela Kadar. Aber nicht einmal die Statistiker wollten auf ihn hören. Also mußte sich Szabo weiterhin die Vorwürfe gefallen lassen, er verhindere die Privatisierung (Opposition) und verschleudere die Heimat (Nationalisten). Da kam der gemäßigte Populist auf die rettende Kreditkarten-Idee.
Doch viel Glück hat er damit nicht gehabt: Ob er dem Volk auf diese Weise den unverkäuflichen staatlichen Schrott andrehen wolle, fragten die Medien. Und selbst Szabos Parteifreund und Kollege, Finanzminister Mihaly Kupa, mißfiel die Idee: Sie sei „sachlich verfehlt und wirtschaftlich unanwendbar“. Szabo präzisierte, daß natürlich nicht alle Ungarn die Kreditkarte bekommen, sondern nur von Zeit zu Zeit einige Posten ausgegeben würden. Spätestens am 31. März erfahren die Volksmassen, was sich noch alles ändert, denn dann muß das fertige „Konzept zur Beschleunigung der Privatisierung“ der Regierung vorgelegt werden. „Jetzt gibt es kein Zurück mehr“, meint Szabo, „man muß es tun.“ Keno Verseck
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