■ Mit der PDS siegte die DDR-Lebensgemeinschaft: Politik der Abgrenzung am Ende
Während der Kanzler noch seine Saat für den Herbst ausstreut, fährt die PDS bereits die Ernte seiner Politik ein. Diese Diagnose des Wahlergebnisses in den fünf neuen Bundesländern entspräche der gerne gehegten Selbststilisierung der PDS als Organ des authentischen Protestes der Ostdeutschen gegen eine Bonner Abwicklungspolitik. Sie entspräche auch dem bislang von den übrigen Parteien kolportierten Klischee einer SED-Nachfolgepartei, deren Schicksal sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung im Osten quasi von allein erledigen werde. Dieses Denkschema reicht nicht mehr, um die Dimension der gestrigen Ergebnisse zu fassen. Vierzig Prozent der Wählerstimmen in Ostberlin, fünfundzwanzig in Mecklenburg- Vorpommern und nicht viel weniger in den übrigen neuen Bundesländern, das ist zuviel, als daß sich noch von einem ständig vorwärtsschreitenden deutschen Vereinigungsprozeß sprechen ließe, zu dessen Parametern das kontinuierliche Verschwinden dieser Partei gehört.
Das Ergebnis verliert erst die Dimension des Außergewöhnlichen, wenn man es aus einer anderen historischen Perspektive betrachtet. Zwei Prozent im Westteil und vierzig im Ostteil, das entspräche vermutlich der jeweiligen Wählerakzeptanz, die den Einheitssozialisten zugekommen wäre, wären die DDR- Kommunalwahlen im Mai 1989 freie und geheime gewesen. Aus Gregor Gysis jetziger Genugtuung spricht das Selbstverständnis einer Gemeinschaft, die nicht allein durch die Dichotomie von Unterdrückern und Unterdrückten klassifiziert sein will. Wer heute PDS wählt, tut dies nicht trotz, sondern auch wegen der alten Kader. Gerade bei den Kommunalwahlen erweist sich die Qualität der alten Nomenklatura als stabilisierendes Element des Gemeinwesens.
Der PDS ist es in den letzten Jahren gelungen, sich zum politischen Zentrum einer DDR-Nachfolgegemeinschaft zu stilisieren, an der auch ihre Kritiker aus dem Osten partizipieren. Diese Verknüpfung hergestellt zu haben ist ihre eigentliche strategische Leistung. Der Fehler ihrer Opponenten aus dem Osten war es, dieses Terrain authentischer Politik zu schnell aus Gründen der jeweiligen Parteiraison geräumt zu haben, anstatt der darin liegenden deutsch-deutschen Differenz einen eigenen politischen Ausdruck zu geben. Der PDS wird von den Ostdeutschen eine maßgebliche Rolle im politischen Geschäft der fünf neuen Länder zugedacht; das läßt sich seitens der übrigen Parteien nicht durch Ausgrenzung beantworten, sollen damit nicht zugleich die Wähler denunziert und demokratische Prinzipien mißachtet werden. Erst wenn die PDS die ihr von ihrer Klientel zugedachte Rolle auch einnimmt, wird die Begrenztheit ihrer Handlungskompetenz evident. Dieter Rulff
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