: Mit der Großmutter fing alles an
URTEIL Heute fällt das Urteil über den sogenannten Darkroom-Mörder. Mit K.-o.-Tropfen hatte der 38-jährige drei Männer getötet, zwei überlebten. Selbst sein Verteidiger spricht von „wenig Spielraum“. Ermittlungen über einen weiteren Mord laufen noch
Dirk P. verzichtete auf die ihm zustehenden letzten Worte vor der Urteilsverkündung. Es scheint, als sei für den 38-Jährigen, der des dreifachen Mordes und zweifachen Mordversuches angeklagt ist, bereits vor der heutigen Urteilsverkündung alles entschieden. Im Plädoyer sprach sogar sein Verteidiger von „wenig Spielraum“. So wird es nicht überraschen, wenn der Vorsitzende Richter im Namen des Volkes eine Verurteilung zu lebenslanger Haft aussprechen wird.
Bis zu vier Mordmerkmale könnte der als „Darkroom-Mörder“ bekannt gewordene Angeklagte bei seinen Taten verwirklicht haben. Heimtückisch soll er vorgegangen sein, habgierig gehandelt haben und aus niedrigen Beweggründen heraus – und auch, um seine Opfer zu bestehlen: Damit wird sich das Urteil nahezu zwingend um die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verschärfen. Nur die anschließende Sicherungsverwahrung wird Dirk P. erspart bleiben – der psychiatrische Gutachter konnte bei ihm keinen eingeschliffenen kriminellen Hang erkennen.
Blütenweiß, so hieß es immer, sei sein Strafregister gewesen, bis er von Ende April bis Mitte Mai 2012 fünf – meist schwule – Männer im Alter von 26 bis 41 Jahren mit der heimlichen Gabe einer Überdosis Gammabutyrolacton (GBL), besser bekannt als K.-o.-Tropfen, vergiftet haben soll – drei davon in ihren eigenen Wohnungen. Drei der Opfer starben, zwei überlebten. Doch am Ende des viermonatigen Prozesses steht fest, dass die Weste des gebürtigen Saarländers schon geraume Zeit davor deutlich befleckt war.
Im Jahre 2006 fälschte der ausgebildete Krankenpfleger eine Arbeitsbescheinigung, kurz darauf kam er mit einem gefälschten Abiturzeugnis in die Hauptstadt, um Grundschulpädagogik zu studieren. Möglicherweise beging er seinen ersten Mord auch nicht erst 2012, sondern bereits sechs Jahre früher. Damals war seine zwar alte, aber durchaus noch rüstige Großmutter nicht mehr aus ihrem Mittagsschlaf erwacht. Dirk P. kam als einziger von 14 in Frage kommenden Erben in den Genuss von Omas Erspartem in Höhe von fast 100.000 Euro – just in dem Moment, als er sich gerade Gedanken machte, wie er sein Studium finanzieren sollte. Folgerichtig wurde nun die Leiche seiner Großmutter exhumiert und auf Giftstoffe untersucht. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei in Saarbrücken laufen noch.
Damals akzeptierten die leer ausgehenden Verwandten nahezu klaglos ihre Enterbung – der Gerichtspsychiater fand das beeindruckend. Er erklärt es damit, dass die Familienmitglieder ohnehin kaum miteinander gesprochen haben, lieber den Kontakt zueinander abbrachen. In dieser katholisch geprägten Familie habe es keine Wärme gegeben, schuld daran soll die einhellig als dominant, kaltherzig und aggressiv beschriebene Großmutter gewesen sein, die sich vor der Homosexualität ihres Enkels Dirk geekelt habe. Bestrafte P. sie dafür? So wie er möglicherweise auch eines seiner Opfer, den 34 Jahre alt gewordenen Alexander M., bestrafte, weil der sich seiner Meinung nach nicht genug um einen todkranken Freund gekümmert hatte?
In seinem Gutachten beschrieb der Gerichtspsychiater die Entwicklung eines Menschen mit einer zwanghaften Persönlichkeit, zu der Charakterzüge wie Misstrauen, Perfektionismus, Eigensinn und emotionale Kühle gehören. Bei dem klein gewachsenen, sich jedem Gegenüber perfekt anpassenden Dirk P. kam ein pathologischer Narzissmus hinzu. Solche Menschen haben wenig Selbstbewusstsein, sind oft neidisch und der Meinung, dass sie unterschätzt werden.
Im Sommer 2011 sah sich Dirk P. dann mit zwei Umständen konfrontiert: Zum einen war das Erbe seiner Großmutter nahezu aufgebraucht, zum anderen fand er immer mehr Gefallen an sadistischen Fantasien, am Ausüben von Macht im sexualisierten Kontext. Er begann zu stehlen, nicht nur geringwertige Produkte in diversen Geschäften. In einer Bahn entwendete er einem Mitreisenden sogar eine Kreditkarte. Mit der besorgte er sich zwei Fahrkarten.
Seit dieser Zeit muss er auch begonnen haben, sich mit der toxischen Wirkung von GBL zu beschäftigen, das im menschlichen Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB) abgebaut wird, die sogar üblicherweise im menschlichen Organismus vorkommt. Die K.-o.-Tropfen sind ein hochflüchtiges Gift, das den Rechtsmedizinern nur dadurch auffallen kann, „dass man nix an der Leiche findet“, wie es einer von ihnen formulierte.
Die Untersuchung auf GBL gehört bislang nicht zur toxikologischen Routine, das könnte sich nach dieser Tötungsserie ändern. Drei Wochen lang kostete Dirk P. seine Allmachtsfantasien aus. Er mordete und stahl – vor allem Geldkarten, mit denen er immer wieder Fahrkarten kaufte. Dabei wurde er auch von einer Überwachungskamera gefilmt. In seiner Vernehmung gestand er: „Es war wie ein Spiel.“
UTA EISENHARDT