: Mit dem Kopf zur Wand
■ S T A N D B I L D
(Eine Welt für alle, So., 20.15 und 21.55 Uhr, ARD) Ein Fernsehmoderator sonnt sich im Glanze seiner sorgfältig formulierten „Sechs Thesen“ zur Entwicklungsproblematik und läßt diese von der versammelten illustren Gesprächsrunde bestätigen. Das war ein Beispiel dafür, wie man nicht über Entwicklungspolitik diskutiert. Mal kumpelhaft-vertraulich mit BRD-Entwicklungsminister Warnke, mal aufmunternd -verschmitzt mit DDR-Pendant Ebeling, mal gönnerhaft -verzückt mit der pakistanische Journalistin Roshan Dhunjiboy - der er bescheinigte, es sei eine „wahre Freude“, zu erleben, wie sie als Pakistanerin auftrete, so ganz unverblümt, richtig mit eigenen Ansichten und so - das macht TV-Journalisten Spaß.
Schade nur, daß der Anspruch, Entwicklungspolitik für die neunziger Jahre zu erörtern, dabei unter den runden Tisch fiel. Ansichten und Einsichten der vergangenen Jahrzehnte wechselten einander ab, mit dem Aktualitätszusatz einer ab jetzt doppelt vertretenen deutschen Position. Was denn mit dem Sozialismus los sei, wollte die Pakistanerin vom DDR -Minister wissen; nichts, lautete seine entwaffnende Antwort: Wir machen weiter, wir wollen doch alle dasselbe, jetzt müssen wir einfach nach vorne schauen. Als dann auch noch FDP-Staatssekretär Schäfer mehr amerikanische Filme zur Dritten Welt verlangte, nutzten Uschi Eid (Grüne) und Bruno Holz (SPD) die aufkommende Schwafelstimmung, um ihre Parteiforderungen der letzten acht Jahre aufzuwärmen.
Der Verdacht, eigentlich werde die Entwicklungspolitik der neunziger Jahre gar nicht so neu aussehen, war unter dem Eindruck des zuvor ausgestrahlten Spielfilms Der Marsch wohl zwangsläufig. Der eigentlich nachdenklich machende Trend in der gegenwärtigen Dritte-Welt-Diskussion - nämlich die Verkürzung der Entwicklungsproblematik auf ein Flüchtlingsproblem - wurde in der Aufmachung der Story irgendwo zwischen Heuschreckenpanik und Laßt-die-Kinder-zu -mir-kommen-Rührseligkeit angesiedelt. Indem der Film suggerierte, Flüchtlingsprobleme entstünden erst, wenn es keine Hoffnung auf Entwicklung mehr gibt, ließ er die eigentlich notwendige Verknüpfung der beiden Themenkreise in der Diskussionsrunde gar nicht mehr zu.
Dabei wäre gerade dies im Zuge der neudeutschen Großkotzigkeit aktuell gewesen. So aber klang die Brisanz der neuen Lage nur unterschwellig mit. „Wir haben als Deutsche unsere Lektion aus der Geschichte gelernt“, erklärte Minister Warnke gegen Ende der Sendung. Die Entgegnung darauf war eine halbe Stunde früher gefallen, aus dem Munde Roshan Dhunjiboys: „Wir sind Euch gefolgt. Jetzt stehen wir alle mit dem Kopf zur Wand.“
Dominic Johnson
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