Mit dem Kapitalismus für den Atomausstieg: Die Umweltweisen sind begeistert
Unternehmen und Wissenschaftler wollen das Stromsparen mit marktwirtschaftlichen Instrumenten voranbringen: "Weiße Zertifikate" sollen Sparsame belohnen.
BERLIN taz | "Weiße Zertifikate" könnten ein Baustein des Atomausstiegs werden. Wertpapiere, die auf marktwirtschaftlichem Weg für mehr Energieeffizienz bei Endverbrauchern sorgen, könnten nach Angaben der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff) den jährlichen Stromverbrauch in Deutschland um 11,3 Milliarden Kilowattstunden senken – so viel, wie ein AKW produziert.
Die Idee: Ähnlich wie beim EU-Emissionshandel wird Energieversorgern auferlegt, eine bestimmte Menge an Energie einzusparen. Wie sie das machen, bleibt ihnen überlassen: Förderprogramme für den Kauf energiesparender Hausgeräte, Gebäudesanierung unterstützen oder ihre Kunden über Anreize zum Stromsparen motivieren.
Erreichen Versorger die auferlegten Einsparziele nicht, müssen sie Zertifikate zukaufen. Sparen sie mehr als gefordert, können sie Zertifikate verkaufen. So können sie ihre Effizienzbemühungen am Markt refinanzieren. Dadurch erfolgen Einsparungen jeweils dort, wo sie am günstigsten sind. Großbritannien, Frankreich, Italien und Dänemark nutzen bereits ähnliche Modelle.
"Die richtigen Akteure werden mobilisiert"
Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) befürwortet das Modell. So würden "Akteure für Energieeffizienz mobilisiert, die sich durch den Kontakt zum Kunden an Schlüsselpositionen befinden". Die Zertifikate könnten unterschiedlich gestaltet sein.
Für Haushalte schlägt der SRU ein "Stromkundenkonto" vor: Jeder Versorger erhält für seine Kunden ein Kontingent an Zertifikaten zugeteilt. Damit hat er plötzlich ein ökonomisches Interesse daran, dass seine Kunden sparsam mit Energie umgehen.
Der Versorger kann die eingesparten Zertifikate verkaufen
Dann nämlich kann der Versorger die eingesparten Zertifikate verkaufen. "Die Einführung progressiver Tarife für Stromlieferung oder die Entwicklung von Bonus-Malus-Systemen könnte Einsparungen belohnen und hohen Verbrauch belasten", resümiert der SRU. Die Wissenschaftler verweisen auch auf die "Komponente des sozialen Ausgleichs", die das Konzept enthält - denn Haushalte mit höherem Einkommen verbrauchen im Durchschnitt mehr Strom als solche mit geringem.
Die Deneff fordert nun die Bundesregierung auf, schnell ein Pilotvorhaben zur Einführung von Weißen Zertifikaten zu starten, die auch etwa 23.500 neue Jobs brächten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden