Mit dem Boykott auf Du und Du: Arbeitsstättenzählung
■ Boykottinitiativen haben zu tun
Berlin (taz) - Im Rahmen der Volkszählung wird nicht nur das Volk in seinem Wohnraum gezählt, sondern der arbeitende Teil der Bevölkerung noch einmal extra am Arbeitsplatz. Mit einem ganzen Set von Gründen erklären die seit Monaten aktiven Inis gegen die Arbeitsstättenzählung, warum die amtlich geforderten Auskünfte verweigert werden: Die letzte Volkszählung von 1970 habe gezeigt, daß die Basisdaten eben nicht zu einer Politik der Lösung gesellschaftlicher Probleme wie Arbeitslosigkeit und Umweltproblemen verwandt würden. Bei der Arbeitsstättenzählung sei die Anonymität der Angaben letztlich nicht einmal vorgesehen. Datenmißbrauch sei höchstwahrscheinlich. Insbesondere die Alternativbetriebe mit ihren vielfach unkonventionellen Beschäftigungsverhältnissen und Unternehmensformen glauben, daß mit dem Material der Arbeitsstättenzählung eine Offensive gegen den Sektor „Schattenwirtschaft“ gestartet werden soll. Nach einer Woche Zählversuchen ist die Rücklaufquote von Arbeitsstättenbögen an die Boykott–Sammelstellen gerade man angelaufen. In Bremen sind ca. 40 Bögen ohne Nummer eingegangen. Die „Bremer Nettigkeit“ würde voll durchschlagen, wird zum Klima gemeldet. Die Verwaltung hat mehrfach demonstrativ Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen und das Motto „Überzeugungsarbeit“ ausgegeben. Bremen wählt im Herbst. In Kassel beschloß eine Initiative von 70 Betrieben und Vereinen, gegen die Koppelung von Betriebsdaten und Personalbögen zu klagen. Vier Betriebe werden in den nächsten Tagen stellvertretend vor den Kadi ziehen. Über den Rücklauf unausgefüllter Bogen gibt es keine Angaben. In Karlsruhe ist der bisher von der Stadt mit Streicheleinheiten bedachte Alternative Gewerbehof als Sammelstelle unangenehm aufgefallen. Der Vorstand des Trägervereins „Freiraum e.V.“ erhielt Abmachungen, und die Auszahlung eines bereits zugesagten städtischen Zuschusses verzögert sich. Den Grund sehen die alternativen Gewerbehof–Schaffer in einer schriftlichen Aufforderung der Stadt, die Sammelstelle aufzulösen. Die Reaktion hierauf ist gelassen. Bisher sind 42 Boykott– Bögen gezählt. In Berlin sind bei der Sammelstelle an die 350 Arbeitsstättenbögen eingegangen, die am letzten Samstag bei der Tapezierung von einer zwei Kilometer langen Strecke der Berliner Mauer im Einerlei des „grau–blauen Altpapiers“ für rosa Flecken sorgten. Rechtliche Konsequenzen und die Möglichkeit von Sanktionen werden von den Initiativen anwaltlicher Beratung als wenig drastisch eingeschätzt. Haftbar gemacht und dann mit einem Bußgeld belegt werden könnte nur der Chef oder Vorstand mit seinem persönlichen Einkommen. Die Verweigerung der Auskunft sei eine Ordnungwidrigkeit, bei deren Ahndung auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelten würde. Endlich mal hätten die kleinen Alternativbetriebe einen Vorteil vor den Großunternehmen. Siemens würde wohl ganz schön blechen müssen. Aber die boykottieren wohl kaum. geo
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