Mit Wolf Biermann über Putin : „Kind von Hitler und Stalin“
Der Westen muss die Augen aufmachen und sich darauf einstellen, dass er aktiv in Russlands Krieg involviert wird. Eine Kolumne von Udo Knapp.
Von UDO KNAPP
taz FUTURZWEI, 10.05.22 | „'s ist Krieg. Nun schließt mein Lebenskreis sich höllenwärts“, heißt es in der neuen „Elegie im 86. Jahr“ von Wolf Biermann, vorgetragen am 2. April bei einer Preisverleihung für sein Lebenswerk in Wien.
Am Ende seines unbeirrbaren Lebensweges muss der Sänger und Dichter Biermann zur Kenntnis nehmen, dass der Krieg nach Europa zurückgekommen ist und kann nichts anderes tun, als zuzusehen, wie die Ukrainer ihren Kampf um Selbstbestimmung in Freiheit alleine führen müssen.
Legitimes Kind Stalins und Hitlers
Biermann nennt Putin „das legitime Kind aus der Hochzeit von Stalin und Hitler“. Er muss, wie schon so oft in seinem Leben als unbequemer Barde, beim Verrat an der Freiheit zusehen. Er muss ertragen, dass viele derjenigen, die eigentlich aktiv an der Seite der um ihre Freiheit kämpfenden Ukrainer erwartet werden, die Kämpfenden auffordern, sich selbst aufzugeben, vor dem imperialistischen Aggressor zu kapitulieren und sich in dessen terroristisches Besatzungsregime einzufügen.
Ein solches Verhalten ist nicht neu. Wie es vor Beginn des II. Weltkrieges in den USA und in vielen Ländern Westeuropas eine starke politische Bewegung gegen einen gemeinsamen Kampf aller Staaten der freien Welt gegen die deutschen Faschisten gegeben hat, so gibt es heute in der Bundesrepublik große Vorbehalte gegen eine offensive Unterstützung der Ukrainer bei deren Abwehr der russischen Aggression. Der Krieg vor unserer Haustür soll unseren bequemen Frieden nicht über Gebühr belasten.
Der Westen ist längst aktive Kriegspartei
Die Bundesregierung und die anderen westlichen Regierungen gehen davon aus, dass sie mit ihren Sanktionen und Waffenlieferungen den Ukrainern zu einem Sieg verhelfen, aber mindestens einen russischen Sieg verhindern können, ohne dabei selbst aktive Kriegspartei werden zu müssen. Aber realistisch betrachtet ist der Westen längst aktive Kriegspartei.
Ohne die immer schwereren Waffen des Westens, ohne seine Absicherung des Nachschubes an Waffen und Munition und die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an diesen Waffen, ohne die Aufnahme von mehreren Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine und ohne die finanziellen Hilfen in Milliardenhöhe wäre der Kampf der Ukrainer wohl längst verloren.
Alle Regierungen im Westen wissen, dass Russland seinen Krieg in der Ukraine nicht freiwillig beenden wird. Eher ist davon auszugehen, dass Putin eine Ausweitung der Kampfhandlungen über die Ukraine hinaus vollziehen und die Zahl der Soldaten im Kampfeinsatz in der Ukraine durch die Ausrufung der allgemeinen Mobilmachung in Russland erhöhen wird. Damit soll dann der Druck auf den Westen erhöht werden, die Ukraine fallen zu lassen.
Putin-Gang wird Krieg fortsetzen
An dem Ziel Russlands, die Ukraine als selbständigen demokratischen Staat in seinen völkerrechtlichen Grenzen auszulöschen, wird festgehalten. Denn eine demokratische, nach Westen orientierte Ukraine würde durch ihren Erfolg nach innen und außen das russische Herrschaftsmodell gefährden, sein „autokratisches, autoritäres, staatskapitalistisches, kleptokratisches, neoimperiales und nach Bandenprinzipien organisiertes System“, wie der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel das nennt. Deshalb wird Russland unter der Führung der Putin-Gang seinen Krieg fortsetzen, was immer es kostet.
Käme es etwa zu einem Einsatz einer kleineren, taktischen Atomwaffe auf dem Staatsgebiet der Ukraine, dann muss der Westen sich tatsächlich entscheiden, ob er die Ukraine aufgibt oder Bodentruppen einsetzt, mit dem Ziel, die Russen aus der Ukraine zu vertreiben.
Der Westen müsste in diesem Stadium des Krieges selber keine Atomwaffen, wohl aber seine volle konventionelle Kampffähigkeit mobilisieren, um Russland seine geostrategischen Grenzen aufzuzeigen. Zu einer solchen Strategie würde es gehören, jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands zu unterlassen. Die Leute in Russland werden, auch wenn das im Augenblick wie ein idealisierender Wunschtraum klingen mag, einen eigenen Weg in eine demokratische Zukunft finden, wenn erst der erpresserisch organisierte Verkauf von Öl, Gas und anderen Rohstoffen zur Finanzierung des gegenwärtigen Herrschaftsmodells endgültig weggebrochen ist.
Fallenlassen der Ukraine hätte die Destabilisierung aller westlichen Demokratien zur Folge
Gleichwohl müsste jetzt und sofort die Ausweitung der Stationierung westlicher Atomwaffen im europäischen Nato-Raum vollzogen werden, um Russland bei weiteren nuklearen Erpressungsversuchen die Wahrscheinlichkeit der Selbstvernichtung wieder deutlich vor Augen zu führen. Ein solches Vorgehen könnte sogar ernsthafte Verhandlungen über die weltweite Vernichtung aller Atomwaffen zurück auf die Tagesordnung der Völkergemeinschaft bringen.
Um so robust vorzugehen, müsste der Westen zu der Einsicht kommen, dass ein Fallenlassen der Ukraine und das Hinnehmen eines Besatzungsregimes den Beginn der Destabilisierung aller westlichen Demokratien zur Folge haben würde. Wolfgang Schäuble (CDU) hat in seiner Wittenberger Kanzelrede am 1. Mai darauf hingewiesen, dass „demokratische Systeme überall auf der Welt immer noch hohe Anziehungskraft haben, weshalb sie China in Hongkong und Taiwan ebenso wie Putin als Bedrohung ansehen. Also haben wir Grund zu Selbstvertrauen. Dieses Selbstvertrauen reduziert soziale Komplexität und trägt so das Prinzip der Repräsentation, der Entscheidung durch Wahlen auf Zeit legitimierter Personen. Diese Personen müssen führen.“
Wer im Westen übernimmt die Führungsrolle?
Heißt: Von den gewählten demokratischen Führern des Westens werden jetzt Entscheidungen verlangt, die diesem Vertrauen von Millionen in die Überlegenheit demokratischer Systeme Rechnung tragen wollen. Das beinhaltet gegebenenfalls den klugen Einsatz direkter militärischer Gewalt, um die Herausforderung der Putin und Co. zurückzuweisen.
Die Frage ist allerdings, wer von den Führern im Westen bereit sein wird, eine solche Führungsrolle zu übernehmen, um geeint und gemeinsam die Bedrohung des westlichen Gesellschaftsmodells abzuwehren.
Wer immer es ist, er könnte sich ein Beispiel an Churchill nehmen. Der hatte mit einer einzigen Rede am 13. Mai 1941 seine Briten auf den Krieg gegen Hitler und die Deutschen eingeschworen. Keiner hofft es, aber es könnte am Ende der einzige Weg sein, damit Biermanns Befürchtung von der Fahrt unseres Lebenskreises höllenwärts aufgehalten wird.
UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.