■ Mit Ungarns Steuerreform auf Du und Du: Nischen geschlossen
Während es in der Bundesrepublik wohl kaum zu der vormals versprochenen großen Steuerreform kommen wird, soll im ungarischen Parlament trotz lebhafter Debatte der Entwurf der Regierung über die Bühne gehen. Erstmals erwartet die Regierung eines kommunistischen Landes Gegenstimmen für das von Ministerpräsident Karoly Grosz vorgelegte Paket, denn seit Wochen wird Unmut bei den Benachteiligten laut. In Zukunft wird das Prinzip des Nettogehalts aufgegeben. Die ungarischen Bürger werden zur Einkommenssteuer veranlagt und ab 1. Januar 1988 bei einem Jahreseinkommen von spärlichen 48.000 Forint (1.825 DM) immerhin 20 Prozent, bei einem Spitzeneinkommen von 800.000 Forint (30.400 DM) schlappe 60 Prozent an den Fiskus abführen müssen. Da gleichzeitig die ungarischen Betriebe Umsatzsteuer zahlen sollen, fürchten viele nicht zu Unrecht, daß die Preise weiter steigen werden. Von der Steuerreform sollen künftig auch all jene erfasst werden, die bislang in diversen Nischen der Privatwirtschaft von staatlichen Abgaben unbehelligt blieben. Der Sumpf soll ausgetrocknet werden, in dem so viele Zweit– und Drittjobber stecken. Mit der Steuer brechen schlechtere Zeiten für die „Zweite Wirtschaft“ an, für die Privaten und die Kooperativen. Da die Ungarn sich bei ihrer Hauptbeschäftigung in den staatlichen Betrieben bekanntlich für ihre Nebentätigkeiten ausruhen, hofft die Staatsgewalt, die Arbeitsdisziplin zu stärken. Lohnerhöhungen als Teilausgleich für die Steuer sollen die Arbeitslust steigern. Die hätten die Betriebe auch bitter nötig. Mit dem Wegfall vieler Subventionen und den steigenden Lohnkosten ist es für jene nur ein schwacher Trost, endlich von einem „entzerrten“ Markt umgeben zu sein: sie werden die ersten Wochen nicht überstehen. Das glauben auch viele Rentner und die kinderreichen Familien. Jene zu besteuern, die ihre kargen Pensionen durch kleine Arbeiten aufbesserten, sei absurd, schrieb ein Leser an eine Zeitung. Dennoch hält die Regierung an dem Vorhaben fest: für die Weiterentwicklung der Wirtschaft sei die Reform unumgänglich.
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