■ Mit Ungarns Landwirtschaft auf du und du: Keine Last für die EU
Budapest (taz) – In den Verhandlungen um die EU-Mitgliedschaft osteuropäischer Länder stellt die Landwirtschaft eines der kompliziertesten Probleme dar – so die gängige Meinung der Brüsseler EU-Funktionäre. Doch trifft das für alle Kandidaten zu?
Ungarische Agrarexperten und Politiker glauben zumindest, daß die Landwirtschaft ihres Landes die Finanzen der Europäischen Union kaum bedrohen kann. Sie sind sauer über die Gleichmacherei der EU-Bürokraten. „Hier herrschen noch immer Blockdenken, Unwissenheit und Vorurteile von seiten des Westens“, sagt Gyula Varga, einer der bekanntesten Agrarforscher Ungarns und stellvertretender Direktor am Budapester Institut für Agrarökonomie.
In Ungarn arbeiten nur 8 Prozent aller Beschäftigten in der Landwirtschaft – weit weniger als in anderen Ländern der Region, wie Polen mit mehr als 25 oder Rumänien mit 40 Prozent. Die Landwirtschaft trägt rund 8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und entspricht lediglich 2 Prozent der gesamten Agrarproduktion in der EU.
Zwar spielen landwirtschaftliche Güter für Ungarns Exporte eine relativ große Rolle: Sie machen ein Fünftel aller Exporte aus. Doch auch hier kann sich die EU kaum beklagen. Ungarns Agarexporte in die EU weisen eine rückläufige Tendenz auf, außerdem gehört ein Teil der Waren, die Ungarn in die EU ausführt, nicht zu denen, die in den alten Eu-Staaten im Überfluß produziert werden. Und eine staatliche Exportunterstützung für die Landwirtschaft gibt es in Ungarn kaum noch – das PSE-Subventionsniveau (Producer Subsidy Equivalent) in der Landwirtschaft beträgt nur 20 Prozent gegenüber 45 Prozent in der EU.
Von der EU-Mitgliedschaft Ungarns würde also die EU eher profitieren, so die Meinung im ungarischen Landwirtschaftsministerium. Schon jetzt ist zum Beispiel der größte Teil der Lebensmittelindustrie in der Hand von Unternehmen aus EU-Ländern. Auch können ungarische Bauern kaum mit EU-Waren konkurrieren, denn die Produktivität der ungarischen Landwirtschaft ist wesentlich geringer als die in der Europäischen Union.
Dieser Rückstand zeigt sich seit Jahren in der Handelspraxis: Ungarn kann viele der EU- Exportquoten nicht vollständig ausnutzen – nicht wegen zu hoher EU-Zölle, sondern wegen der höheren Produktionskosten und der geringeren staatlichen Unterstützung. Gyula Varga befürchtet sogar, daß Ungarns Landwirtschaft ohne eine schnelle Modernisierung eine EU-Integration nicht überstehen würde. KV
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