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Archiv-Artikel

Mit Theorie und Tirili beschossen

Unternehmer in eigener Sache – 13 Regisseure inszenieren in den Sophiensælen den Klassiker „Peer Gynt“ und ein Who’s who der Theaterszene

Sieben Stunden sind es dann doch nicht geworden. Das Theatermarathon, das die Sophiensæle in grimmiger Entschlossenheit angedroht hatten, dauerte letztlich nur fünf. Das reichte natürlich trotzdem, um parallel zur Aufführung selbst eine kleine Choreografie aus gestreckten, angewinkelten und übergeschlagenen Beinen zu entwickeln. Wichtig war dabei die sorgsam ausbalancierte Platzierung des Programms, denn ohne dieses ließ sich kaum verfolgen, auf welcher Station seiner Odyssee sich Peer Gynt gerade befand.

13 Regisseure inszenieren das in 35 Folgen aufgeteilte Stück, jeder hat für seinen Part maximal 20 Minuten, das Bühnenbild wird vorgegeben, der Hauptdarsteller kann übernommen werden, muss aber nicht. Die freischaffende Theatermacherin Susanne Truckenbrodt hat sich dieses Spektakel-Dogma ausgedacht und mit Hilfe des Hauptstadtkulturfonds umgesetzt.

Das Stück ist dafür saugut gewählt, nicht nur wegen Ibsen-Jahr (100. Todestag). Peer Gynt – der Luftikus, der munter zwischen versuchter Selbstgenügsamkeit und verzweifelter Selbstverwirklichung hin und her springt und bei allen weltkaiserlichen Ansprüchen doch immer Muttersöhnchen bleibt. Dieser Peer Gynt also – der schreit doch nach einer Ladung „Neoliberalismus! Ich-AG! Homo Sacer!“ aus der Theorie-Kanone. Damit wird er zwar letztlich doch nicht zur Strecke gebracht, hübsch platt ist er nach den 35 Folgen trotzdem.

Ohne von den Ansätzen der anderen zu wissen, haben sich die Regisseure ans Werk gemacht. Entbunden von der Pflicht, einen stringenten Protagonisten zu entwickeln, lebt jeder seine persönliche Peer-Fantasie aus. Und der grandiose Uwe Schmieder, der in jeder Szene spielt, lebt alles mit: Bei Constanza Macras (Dorky Park) wird er gewohnt bunt betanzt, Annett Kruschke verführt und entmannt ihn, Albrecht Hirche schickt ihm das Trollvolk als Supermarkt-Guerilla auf den Leib und besudelt ihn kräftig mit Schoko-Pudding. Vom Originaltext bleiben da höchstens zehn Prozent übrig – der Rest ist Tanzen, Toben, Tirili.

Nur locker verbindet Susanne Truckenbrodt als künstlerische Leiterin diese Episoden mit einander, lässt etwa einzelne Figuren in noch laufende Szenen eintreten, um in die folgenden zu überführen. Einen roten Faden braucht die Inszenierung aber auch gar nicht, denn wo die einzelnen Ideen besonders heftig ineinander rasseln, entsteht die produktivste Reibung: Erst der harte Wechsel etwa von Jelena Kuljics zartem Gesang zu Albrecht Hirches Guerilla-Trollen sorgt für die nötige Zerstückelung, die es braucht, um fünf Stunden Theater überhaupt verdaubar zu machen.

Peers Suche nach dem Selbst wird damit gleich zu Beginn abgeblasen, weil so viel inhaltliche und formale Heterogenität gar keine Ansätze von Identität zulässt. Dafür rücken lustigerweise aber die Egos der Regisseure in den Mittelpunkt, die es offensichtlich selbst zur Selbstverwirklichung drängte: Mit Annett Kruschke, René Pollesch, She She Pop und Martin Clausen inszenieren sich gleich vier Regiebeauftragte auch als Schauspieler.

Pollesch treibt das Ganze auf die Spitze und macht bei dem Personenkult, der sich in der Szene um ihn gebildet hat, einfach mit: Bei ihm gibt es keine Figur Gynt und kein Wort Ibsen mehr, nur Pollesch, Pollesch, Pollesch. Mit einem grob gestückelten Video-Vortrag über einen „alten litauischen Regieassistenten im grauen Kittel“ gibt er den „Dramatiker des Jahres“-Dittsche.

Als selbstreflexiver Solist weicht Pollesch aber letztlich keinen Deut von der Linie der Mehrheit der Regisseure ab. Die Auseinandersetzung mit einem Gegenmodell, dem Künstlerkollektiv, liefert allein Hans-Werner Kroesinger. Er lässt seine Schauspieler zunächst nur rezitieren, plötzlich gleiten sie jedoch in den Metadiskurs über das Stück an sich ab: Darf man diesem rücksichtlosen Unternehmer in eigener Sache wirklich noch eine Bühne bieten? Im Hintergrund erscheint dazu das Statut der Schaubühne von 1970 per Beamer an der Wand. Schnell wird klar: auch die Kritikbrocken stammen aus alten Zeiten. Der Traum vom kollektiven künstlerischen Prozess – in den Sophiensælen hat man ihn an diesem Abend auf Schönste begraben. HANNAH PILARCZYK

„Peer Gynt“ in den Sophiensælen, bis 25. Juni, 18 Uhr