Mit Springermessern

Ein Neuköllner Rektor wehrt sich gegen einen waffenstarrenden Bericht der „Bild“-Zeitung über Gewalt an seiner Gesamtschule. Sein Vorwurf: Die Fotos seien gestellt

„Wir Schulleiter sind entsetzt“, sagt Detlev Arndt und stemmt sich etwas aus seinem breiten Bürosessel. „Wir können die Erfolge unserer Gewaltpräventionsarbeit an unserer Schule sehen. Mit einer solchen Berichterstattung ist niemandem geholfen.“ Auf Arndts Schreibtisch liegt eine Ausgabe der Bild. Am vergangenen Freitag berichtete die Zeitung unter dem Titel „Waffen-Schock: So gehen Berliner Kinder zur Schule“ über schwer bewaffnete Berliner Schulkinder. Arndt bemüht sich seitdem um Schadensbegrenzung.

Arndt ist Schulleiter der Heinrich-Mann-Oberschule in Neukölln. Auf zwei Fotos in der Freitagsausgabe der Bild sind angeblich zwei Jungen zu sehen, die auf die Gesamtschule gehen: mit Schals vermummt und einem Klappmesser sowie einer Pistole in der Hand. „Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass die Jungs von meiner Schule sind, aber bei uns läuft keiner bewaffnet auf dem Schulgelände herum.“ Außerdem würden ihn die Fotos ein wenig stutzig machen, meint Arndt und beugt sich dabei vertraulich über seinen Schreibtisch vor: „Meiner Meinung nach sind hier immer wieder dieselben Jugendlichen mit den gleichen Waffen abgebildet worden.“ Die Messer und Pistolen seien auf allen Fotos identisch.

So ähnlich sieht das auch Thomas John von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport: „Für mich scheint es, als hätten die ein und demselben Jugendlichen drei verschiedene Identitäten gegeben. Dieser Artikel ist ein Zerrbild, das nicht der Realität entspricht.“

Die Senatsverwaltung muss sich schon seit Donnerstag mit solchen Bildern auseinander setzen. Denn an diesem Tag berichtete die B.Z. von Waffen und Schlägergangs an einer Hauptschule in Neukölln. Deren Schuldirektor fühlt sich von der Presse hinters Licht geführt. Er sei falsch zitiert worden und müsse nun sogar mit Disziplinarmaßnahmen rechnen, hieß es. Seitdem möchte er lieber nicht mehr mit Journalisten reden.

Als tags darauf die Bild mit ihrer farbenprächtigen Collage nachzog, war der Ärger groß. „Mit der Wahrheit hat das nichts zu tun“, sagt Arndt. „Unsere Schule ist das reinste Sanatorium.“ Tatsächlich hatt man in den Gängen der Heinrich-Mann-Oberschule nicht den Eindruck, an einen Ort des Schreckens und der Gewalttaten geraten zu sein. Man trifft auf höfliche Schüler, an den Wänden hängen viele Bilder der Kunstklassen. „Wir haben über Jahre hinweg versucht, unseren Schülern klar zu machen, dass sie in der Schule sicher sind“, sagt Arndt. „Dass wird jetzt erst mal wieder schwieriger.“

Arndt kann zwar nicht jede Prügelei an seiner Schule verhindern; deswegen stehe in der Schulordnung auch ausdrücklich, dass Waffen, waffenähnliche Gegenstände und Kampfsportgeräte im Schulgebäude verboten sind. Bei unangekündigten Waffenkontrollen allerdings, die die Lehrer seit mehreren Jahren bei den Schülern vornehmen, sei bislang nur ein kleines Taschenmesser gefunden worden. Gerade deshalb hält Arndt die Fotos in der Bild für unglaubwürdig. „Wenn man an den Hermannplatz oder an die Schillerpromenade fährt, ist es leicht, Jungs zu finden, die sich so fotografieren lassen.“ Er sei sich fast sicher, dass die abgebildeten „Schüler“ Geld für die Fotos bekommen haben.

Bei der Bild hält man jedoch daran fest, dass es sich um echte Fotos handelt. „Das sind alles unterschiedliche Personen“, sagt Uwe Vetterick, zuständig für die Bild-Ausgaben der Neuen Bundesländer und Berlin. „Die Jungs wurden nicht bezahlt, und die Fotos sind nicht gestellt.“ Auch die Sache mit den identischen Waffen kann sich Vetterick erklären: „Es kann ja sein, dass in der Szene gerade eine bestimmte Waffenmarke in ist. Dann haben die alle.“ Die abgebildeten Schüler seien alle vor den Schulen angesprochen und gebeten worden, ihre Waffen vorzuzeigen.

Wenn die Schüler tatsächlich auf die Heinrich-Mann-Oberschule gehen, kann die Schulleitung also nichts unternehmen. Die Hausordnung ist nur auf dem Schulgelände gültig, und vor den Toren dürfen die Lehrer die Schüler nicht nach Waffen durchsuchen. Arndt vermutet dennoch, dass die abgebildeten Jungen nicht auf seine Schule gehen: „Die Aggressoren kommen meistens von außerhalb, deshalb muss es noch gar nichts heißen, wenn die Bild vor der Schule Jungs mit Waffen aufgreift.“ Die Heinrich-Mann-Oberschule sei bekannt als eine ruhige und gewaltarme Schule.

Gegen den Bild-Artikel will Arndt nichts weiter unternehmen. Eine Richtigstellung auf der schuleigenen Homepage muss reichen. „Damit ist die Sache für mich erledigt.“

PHILIPP DUDEK