■ Mit Sozialprodukten auf du und du: Veralteter Maßstab
Washington (taz/IPS) – Das Bruttosozialprodukt (BSP) als internationaler makroökonomischer Maßstab ist seit langem umstritten – und das selbst unter den Wirtschaftswissenschaftlern. Angesichts der radikalen Umbrüche durch die Globalisierung von Industrie, Technologie, Kapital und auch Umweltzerstörung reichen heute die auf dem BSP beruhenden Annahmen traditioneller Ökonomen nicht mehr aus. Das Bruttosozialprodukt, forderte in der letzten Woche die US- Wirtschaftsexpertin Hazel Henderson, müsse daher auch soziale und ökologische Faktoren berücksichtigen.
Hendersons Vorschlag für neue Country Futures Indicators (CFIs) geht dabei noch weit über eine von Präsident Bill Clinton vor drei Wochen verfaßte Anweisung an das US- Büro für Wirtschaftsanalyse hinaus, eine Bindung ökologischer Faktoren an das BSP zu intensivieren. Der von Henderson favorisierte Indikator beinhaltet neben ökologischen Kriterien auch Armut, Gesundheit, Erziehung, Bestandsfähigkeit und den Nettowert einer Volkswirtschaft. Das traditionelle BSP hingegen bemißt wirtschaftliche Transaktionen nur nach ihrem monetären Wert und unterschlägt damit bereits die Hälfte der produktiven Arbeit, nämlich die im Gegensatz zur Erwerbs- oder Lohnarbeit zumeist unbezahlt verrichtete Eigenarbeit. Dazu zählen etwa Kinder- und Altenfürsorge, freiwillige Tätigkeiten oder Selbsthilfeprojekte.
Ein weiterer grundlegender Irrtum der herrschenden Wirtschaftstheorie ist die Annahme, daß Nationalökonomien in sich abgeschlossene Einheiten sind, die sich von den jeweiligen Regierungen kontrollieren und lenken lassen. Die zunehmende Globalisierung hat längst die Insellage der Volkswirtschaften beseitigt. In dieser Situation eine Ökonomie mit nichts anderem als dem Bruttosozialprodukt steuern zu wollen, so Henderson, komme dem Versuch gleich, einen Jumbo-Jet nur mit einer Tankanzeige zu fliegen.
Während sich in den USA das BSP und der Aktienmarkt seit 1980 nahezu verdoppelten, sanken die Investitionen in ökologische wie menschliche Ressourcen. Das Ergebnis: eine rapide Zunahme der Armut sowie die fortschreitende Zerstörung der Umwelt und der Infrastruktur. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) hat bereits Anfang der 90er Jahre einen „Index zur Menschlichen Entwicklung“ (HDI) erstellt, der bei der Einstufung von Ländern neben dem BSP auch andere Indikatoren wie die Gesundheitsfürsorge oder Aufwendungen für Erziehung berücksichtigt. es
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