■ Mit Produkthaftung auf du und du: Zu klein gedruckt
Berlin (taz/AFP) – Gestern wollten die Bundesrichter in Karlsruhe der Kinderkost- Firma Milupa auf den Zahn fühlen. Deren gezuckerte Tees hatten nämlich Karies bei Säuglingen und Kleinkindern ausgelöst, die das süße Zeug stundenlang genuckelt hatten. In ersten Verfahren war die Firma zu Schmerzensgeld und Schadensersatz verurteilt worden, weil ein entsprechender Warnhinweis auf den Verpackungen gefehlt hatte.
In der jetzt anstehenden Entscheidung geht es darum, ob die von Milupa ab Dezember 1982 aufgedruckte Warnung ausreichte. Einem 1984 geborenen Jungen hatten die Eltern entgegen den Hinweisen den Tee als Einschlafhilfe verabreicht. Der erste Zahnarztbesuch brachte dann das böse Erwachen. Das Oberlandesgericht in Frankfurt gab den Eltern recht, die für ihren Sohn auf Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Mark geklagt hatten: Der Hinweis sei zu klein und unscheinbar gewesen, die Mutter habe als Dauerkundin keine Veranlassung gehabt, die Zubereitungshinweise erneut zu lesen. Milupa aber will den Richterspruch nicht akzeptieren: Schließlich droht der Breifirma eine zweite Prozeßwelle mit Schadensersatzforderungen in Höhe von 20 Millionen Mark. Beim Kampf um die Haftung der Produzenten konnten die Konsumenten in den letzten Jahren einige Erfolge erstreiten. Nicht nur Milupa, auch Fertighausproduzenten, die Formaldehyd und PCP verwendet hatten, die Schuhputzfirma Erdal und der Holzschutzmittelhersteller Desowag wurden verurteilt. Außer zivilrechtlichen Verfahren gebe es inzwischen auch mehrere Verurteilungen nach dem Strafrecht wegen Körperverletzung und fahrlässiger Freisetzung von Giften, freut sich Dieter Kublitz, Bundesvorsitzender der Verbraucherinitiative. „Beim Frankfurter Holzschutzmittelprozeß haben die Richter im Sommer 1993 festgestellt, daß die Hersteller sich nicht einfach auf Grenzwerte berufen können“, so der Rechtsanwalt. Vielmehr müssen sie selbst erforschen, ob die Höchstwerte sicher sind und ob es eventuelle Wechselwirkungen mit anderen Substanzen gibt.
Das von der EU geforderte neue Produkthaftungsrecht hingegen lehrt die Hersteller nicht das Fürchten: Viele Lebensmittel sind dort ausgenommen, und es gibt auch eine Höchstgrenze für Schadensersatzforderungen. aje
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