■ Mit Polens Steuerreform auf du und du: Nicht vor der Wahl
Warschau (taz) – Der polnische Ministerrat hat am Wochenende beschlossen, die für den 5. Juli geplante Einführung der Mehrwertsteuer bis auf weiteres zu verschieben. Dahinter steht die Furcht, Preiserhöhungen könnten sich negativ auf den Wahlkampf auswirken, der nun beginnen wird – voraussichtlich im September wird ein neues Parlament gewählt. Ein Regierungssprecher begründete die Verschiebung der großangelegten Steuerreform mit der Befürchtung, es könne zu „unbegründeten Preiserhöhungen“ kommen.
Polen hatte bisher nur eine Umsatzsteuer, deren Berechnung und Höhe allerdings von Produkt zu Produkt schwankte. Sie soll nun durch einheitliche Mehrwertsteuersätze von 22 Prozent, in manchen Fällen 7 Prozent ersetzt werden. Bei einigen wenigen Grundnahrungsmitteln soll sie ganz entfallen.
Experten der Regierung prognostizieren einen Preisanstieg von 4 Prozent, Kritiker weisen allerdings darauf hin, daß vor wenigen Monaten bei Umstellung der tschechischen Umsatzsteuer auf das Mehrwertsteuerprinzip die Preiserhöhungen bedeutend höher ausgefallen waren, als von der dortigen Regierung zuvor errechnet worden war.
Hinzu kommt, daß Polens Groß- und Einzelhändler bisher noch immer Steuererhöhungen als Vorwand genommen haben, die Preise auch über die neue Abgabenmarge hinaus zu erhöhen. So kommt es bei der Einführung neuer oder der Anhebung bestehender Steuern schon fast regelmäßig zu Preissteigerungen, bevor die entsprechenden Regelungen überhaupt in Kraft treten. Kritiker der Neuregelung weisen auch darauf hin, daß das Niveau von 22 Prozent weit über dem in der EG liege.
Die Verschiebung der bereits in großangelegten Aufklärungskampagnen vorbereiteten Reform dürfte außerdem zu erheblichen Problemen bei den Finanzämtern und der Steuerfahndung führen. Die Registrierung der künftigen Mehrwertsteuer-Zahler ist praktisch abgeschlossen, viele Betriebe dürften auch bereits mit der Umstellung ihrer Buchhaltung begonnen haben. Die Steuerfahnder erhofften sich von der Reform einen Rückgang der Umsatzsteuerhinterziehung, da die Mehrwertsteuer als durchlaufender Posten in den Büchern schwerer zu manipulieren ist. Auch der Anreiz, sie zu hinterziehen, ist geringer, da Vorsteuerabzüge möglich sind. Nun müssen sich alle weiter mit der komplizierten Umsatzsteuer beschäftigen, die auch noch – für eine Übergangszeit – durch eine Luxus- und eine Grenzsteuer ergänzt wurde. Klaus Bachmann
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