piwik no script img

■ Mit Nacht & Schatten auf du und duKartoffelkrise in der Slowakei

Prešov (taz) – Erst waren sie billig, dann waren sie schlecht, und jetzt sind sie weg. Wer noch welche im Keller hat, kann froh sein: Kartoffeln sind in der ganzen Slowakei seit rund zwei Wochen nirgends mehr zu bekommen. Viele VerkäuferInnen haben schon seit einem Monat keine mehr gesehen. Daran wird sich wohl auch in der nächsten Zeit nichts ändern. Die slowakische Regierung hat sich in einen absurden Kampf gegen die Marktgesetze verstrickt, und sie will ihn nicht verloren geben.

Auslöser der ärgerlichen Versorgungskrise ist der Höchstpreis für Speisekartoffeln. Das Kilo darf nicht mehr als 12 Kronen, rund 60 Pfennig, kosten. Diese Obergrenze hatte der Finanzminister im September festgelegt, als die Kartoffelproduzenten nach der langen sommerlichen Trockenheit eine schlechte Ernte meldeten. Der Ertrag fiel von 34,2 Tonnen pro Hektar im Jahr 1993 auf 10,45 Tonnen im Herbst 1994. Auf 50.000 bis 100.000 Tonnen schätzen Experten das Gesamtdefizit bis zur Frühjahrsernte im Mai.

Mit dem 12-Kronen-Limit wollte der Finanzminister eine Preisexplosion der braunen Ware verhindern. Das Vorhaben ging daneben. Als sich im Dezember die Lagerhallen leerten, schnellte zunächst der Preis für Qualitätskartoffeln auf 12 Kronen. Dann verschwanden die Knollen ganz: In der Erwartung, daß die Regierung die Preisgrenze bald aufheben würde, nahmen die Produzenten sie vom Markt. Sofort schoß der Preis für zweitklassige Kartoffeln von 6 auf 12 Kronen pro Kilo. Zwei Wochen später war auch diese halb vergammelte Ware nirgends mehr zu bekommen. Inzwischen sind die meisten der zurückgehaltenen Qualitätsknollen unter der Hand verkauft. Die Krise ist jetzt echt.

Besonders betroffen sind die Großnachfrager, allen voran die in der Slowakei üblichen Schulkantinen. Die Schulverwaltung hatte den Chefs der Mensen unter Androhung von Disziplinarmaßnahmen verboten, das preiswerte Grundnahrungsmittel für den ganzen Winter einzulagern. Inzwischen hat eine Schulküche in Poprad an der Grenze zu Polen noch drei Sack für 500 Schüler – die Jungen und Mädchen werden im Mai Reis nicht mehr sehen können.

Auch eine Hamsterfahrt per Schulbus nach Polen ist keine Alternative. An den slowakischen Grenzen gilt ein Kartoffel-Zollsatz von 155 Prozent und ein weiterer zehnprozentigen Zuschlag, um den subventionshungrigen slowakischen Produktionsgenossenschaften die ausländische Konkurrenz vom Hals zu halten. Den LPGen hilft das aber in diesem Winter überhaupt nicht: Bei 12 Kronen Endverbraucherpreis für das Kilo Kartoffeln arbeiten diese Überbleibsel des Realsozialismus, die in der Slowakei noch immer die landwirtschaftliche Produktion bestimmen, erst ab 22 Tonnen Ertrag pro Hektar profitabel. Zur Versorgungskrise kommt also auch noch die Pflicht des Staates zu Ausgleichszahlungen hinzu.

Landwirtschaftsminister Baco hat jetzt ein Maßnahmenpaket verkündet: Über einen neuen Zollsatz werde nachgedacht, der Zuschlag von 10 Prozent falle bis Ende Mai weg, aber der 12-Kronen-Höchstpreis bleibe. Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln – die Krise bleibt, selbst wenn der Zoll vollständig wegfallen würde. Denn der Weltmarktpreis für Kartoffeln richtet sich nicht nach der slowakischen Politik. Die billigste derzeit lieferbare Ware, polnische, kostet umgerechnet 24 Kronen ab Grenze. Dietmar Bartz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen