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Archiv-Artikel

Mit Kopftuch in der Arztpraxis? Abgelehnt!

ALLTAG Migranten, die sich auf eine Lehrstelle bewerben, werden häufig diskriminiert, meint der Freiburger Soziologe Albert Scherr

BERLIN taz | Eine Arztpraxis in Potsdam sucht eine neue Sprechstundenhilfe. Eine junge Muslimin bewirbt sich auf die Stelle – und wird abgelehnt. Weil sie während der Arbeit das Kopftuch tragen will. Diskriminierung?

Nein, sagt der Arzt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Wenn sie das Kopftuch abgelegt hätte, hätte ich sie genommen“, sagt er: „Ich muss meinen Patienten entgegenkommen.“ Potsdam ist – zugespitzt formuliert – reich und weiß, und man bleibt offenbar gerne unter sich.

Für Albert Scherr ist der Potsdamer Fall eine „direkte Diskriminierung“. Und die treffe nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sagt der Soziologe an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Sondern auch migrantische Jugendliche, die sich auf einen Ausbildungsplatz bewerben.

In einer Umfrage unter Betrieben, die in der Industrie- und Handelskammer organisiert sind, hat Soziologe Scherr herausgefunden, dass ein Drittel der Firmen kopftuchtragende Muslima nicht einstellen würden. Circa 12 Prozent der Handwerks-, Bau- und Gastronomiebetriebe möchten nicht, dass bei ihnen praktizierende Moslems arbeiten.

Eine „indirekte Diskriminierung“ sieht Scherr im Ausgrenzen aufgrund der Sprache. So ist es für rund 77 Prozent der Firmenchefs wichtig, dass migrantische Lehrlinge gut Deutsch sprechen. Albert Scherr sagt: „Man kann zwar eine Sprache lernen, aber eine Erstsprache kann man sich nicht wählen.“

Arbeitgeber argumentieren, dass gutes Deutsch eine Voraussetzung für Lehrlinge und Angestellte sei, die mit Kunden Kontakt haben. Sie müssten sich eindeutig verständlich machen können und dürften nicht geschäftsschädigend wirken. Horst Schollmeyer sind solche Kriterien egal. Der Malermeister in Berlin, zu dessen Kunden Wohnungsbaugenossenschaften, die Charité und Bezirksämter zählen, will lediglich, dass sich „meine Jungs verständlich machen können“: „Ob die den Genitiv richtig verwenden, ist unwichtig.“

Der Malermeister legt Wert darauf, dass seine Auszubildenen mit teils schwierigem sozialen Hintergrund pünktlich zur Arbeit kommen, gut ins Team passen und nicht „aufmüpfig“ sind. Zensuren seien zunächst sekundär. „Wer aber zu schlecht ist, wird zur Nachhilfe verpflichtet“, sagt Schollmeyer. Eine 4 ist schlecht, eine 3 geht durch. Der Malermeister bildet zehn Azubis aus, einer von ihnen hat einen Migrationshintergrund.

Der Scherr-Studie zufolge bevorzugt fast ein Fünftel der Arbeitgeber „deutschstämmige“ Jugendliche, weil die Kunden das erwarten würden. Albert Scherr zieht ein Fazit: „Eine klare Mehrheit der Betriebe geht aufgrund ihrer Einschätzung der Situation davon aus, dass Diskriminierung im Ausbildungsbereich geschieht.“ SIMONE SCHMOLLACK