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Mit Klötzchen spielen

■ Studienarbeiten der Meisterklasse Hollein in der Galerie Aedes

Eine kleine Ausstellung für Architekten und alle, die früher ihre Modelleisenbahnen durch selbstgebastelte Städte und Landschaften rasen ließen, ist in der Galerie Aedes aufgebaut. Orte, so schön wie der Halbkreis aus Pappmachedörfchen und Plätze, so weit wie die vieleckigen Straßenräume aus Balsaholz, erheben sich da im Modell. Das antike Rom und die Tempel von Delphi, die Akropolis über Athen und die Totenstadt Hatschepsut in der Nähe von Luxor sind ebenso im Maßstab 1:500 dabei wie der Rote Platz in Moskau, mexikanische Kultstätten, proletarische Siedlungsarchitektur in Österreich und italienische Touristenattraktionen: die Plätze von Siena, Pisa, Florenz und Venedig.

Alle Klötzchenburgen und Gipshügel stammen von Erstsemestern aus Hans Holleins Wiener Meisterklasse für Architektur, denen mit den Basteleien ein Gefühl für die historischen und urbanen, baulichen und stofflichen Strukturen in der Architektur und Stadtplanung antrainiert wird, das sie später so häufig doch wieder vergessen, weil ihnen, im wahrsten Sinne des Wortes, der Überblick fehlt.

„Ort und Platz“, so lautet der Titel für die Studienarbeiten, sind wunderbare Spielzeuglandschaften von Stadtstrukturen, in die man sich hineindenken kann; und man sieht, wie genau sich Stadtplanung und Architektur über Jahrhunderte an topographisch determinierten Stellen organisiert und verändert haben. Aus der Vogelperspektive verdeutlicht sich dem Betrachter eine Typologie im Stadtgrundriß. Jede Bebauung wird durch einen ortsspezifischen Bedeutungsgehalt konstituiert, der die Planung ebenso bestimmt wie die politischen und sozialen Strukturen. Die städtischen Mittelpunkte entstehen um politische und ökonomische Stätten der Repräsentanz. Große Plätze dienen der Inszenierung baulicher Ordnung; Räume werden eingefaßt zu Bühnen; Straßen entwickeln sich zu Sichtachsen; einzelne Bauten und Plätze sind Chiffren einer ganzen Zeit. So besteht beispielsweise die „Verbotene Stadt“ in Peking aus einem Rhythmus von Plätzen, der die Landschaft in der Horizontalen fortsetzt, während die Klosterburg auf dem Mont Saint Michel nur wie die Ergänzung des steilen Berges dasteht. An der Piazza del Campo in Siena erkennt man, daß Architektur zum Abbild einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung geworden ist, die sich der kirchlichen Macht widersetzte, sind doch die Bebauung wie die Facetten des muschelförmigen Platzes auf das Rathaus - den Palazzo Pubblico - hin ausgerichtet, der sich im Ring der Bürgerhäuser gegen den Dom abgrenzt.

Im Mittelpunkt der Ausstellung aber steht ein Modell, früher Renaissancearchitektur, das nach Piero della Francescas Gemälde „Geißelung Christi“ (1459) gebaut ist. Das Bild treibt ein Spiel mit der Architektur. Obwohl es zentralperspektivisch aufgebaut ist, stimmen die Größenverhältnisse nicht, weil Piero die räumlichen Gegebenheiten und Figuren der Wahrnehmung seiner subjektiven Proportionsvorstellung unterwarf. Bei Aedes kann man nun um das Modell herumlaufen, das so aufgebaut ist, als wäre die Schulperspektive am Werk gewesen. Dann, aus dem Blickwinkel über einen tiefliegenden Augenpunkt, reduziert sich das Modell wieder zum flächigen Trickbild.

rola

Die Ausstellung „Ort und Platz“ ist bis zum 28.8. in der Galerie Aedes zu sehen, täglich von 10-18.30 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

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