■ Mit Kind und Auto auf du und du: Reine Ausrede
Kinder sind der häufigste Grund für die Anschaffung eines Autos und eines Reihenhauses am Stadtrand. Kinder sind der häufigste Grund, daß Frauen zwischen 25 und 40 plötzlich zu Taxifahrerinnen mutieren, die nachmittagelang nichts anderes tun, als ihr Kind von der Kinderkrippe zum Selbstverteidigungskurs, von der Freien Schule zur Kinderpsychologin, vom Jazz-Dancing zum Benetton-Shop kutschieren. Kinder sind der häufigste Grund für die Anschaffung eines Fahrradhelms, Anlaß der ständigen Ermahnung, ja aufzupassen, ständiges Objekt der Warnung vor dem Straßenverkehr sowie den höllischen Gefahren des Fahrradfahrens, um sie dann morgens um 7 Uhr 42 doch noch schnell in die Grundschule zu fahren – ist doch sicherer so.
Kinder sind fast unverzichtbar, will man das Autofahren rechtfertigen. Als kürzlich in den USA ein Airbag ein Baby auf dem Beifahrersitz bei einem leichten Auffahrunfall regelrecht köpfte – der Kopf wurde durch die weiße Plastikfaust vom Rumpf gerissen und mit 200 km/h durch das Seitenfenster auf die Straße geschleudert, entbrannte keine heftige Diskussion über das Autofahren, sondern eine über den Airbag. Die PsychologIn nennt das Problemverschiebung.
Wäre Autofahren eine rationale Entscheidung und der Zusammenhang von Kind und Auto der Vernunft zugänglich, müßten die Autoeltern nämlich folgendes zur Kenntnis nehmen: Die größten Gefahren drohen Kindern im Auto. Auf dem Fahrrad und zu Fuß sind sie deutlich sicherer. Je höher der Fahrradanteil im Verkehr – egal ob mit oder ohne Helm –, desto geringer ist das Unfallrisiko. Verkehrsunfälle sind die Haupttodesursache von Kindern zwischen einem und 15 Jahren. Bezogen auf die amtsdeutsch „tägliche Verkehrsbeteiligungsdauer“ hat sich das Risiko von Kindern, im Verkehr tödlich zu verunglücken, seit 1950 mehr als verdoppelt. Das Risiko schwerer Verletzungen ist um mehr als das Dreifache gestiegen. In Industrieländern werden jede Stunde 6.000 Autos produziert, aber nur 3.000 Kinder geboren. Florian Marten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen