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Mit Ionenaustauschern gegen strahlende Molke

■ In Hannover bereitet der Milchwirtschaftler Professor Franz Roiner die Entgiftung der Strahlenmolke vor / Für die Dekontamination ist kein Genehmigungsverfahren vorgesehen / Molkereien sollen mit der Entgiftung beauftragt werden

Aus Hannover Jürgen Voges

„Eigentlich hatten wir ein Verfahren für den Ernstfall entwickelt“, sagt der hannoversche Milchwirtschaftler Professor Franz Roiner. „Wenn es wirklich hart auf hart geht, kann man mit unserer Methode flüssige Grundnahrungmittel, die Milch in der Babynahrung zum Beispiel, von Radioaktivität freihalten.“ „Zu der Molke“, so der Professor, der ebenso wie das verstrahlte Pulver unüberhörbar aus Bayern stammt, „sind wir dann gekommen wie die Jungfrau zum Kinde.“ Roiner und seine Mitarbeiter sind in der Fachhochschule für Milch und Molkereiwirtschaf tätig, einen zweistöckigen Klinkerbau am westlichen Stadtrand von Hannover. Dort im gekachelten Laborsaal, in dem ein Dutzend an Miniaturmolkereien erinnernde Aparaturen aus verchromten Rohren stehen, hat er im Janaur erstmals mit 60 Becquerel belastete Milch „auf dem Wert Null gebracht“. Auf dem Gelände ist auch die Milchwirtschaftliche Untersuchungsanstalt zu Hause, die sich ebenfalls mit der Molke zu befassen hatte. „Wir haben uns über die Untersuchungsanstalt dann einfach einen Sack von der Molke besorgt“, sagt Roiner, „und den dann aufgelöst, und es funktionierte genauso wie mit der Milch.“ Die Versuchsanordnung, mit der die erste Molke gereinigt wurde, paßt auf eine Fläche von drei Quadratmetern. In der Mitte des Röhrensystems sitzt ein kleiner Zylinder, in den Schläuche und Leitungen münden. Dort wird der eiweißhaltige Teil der Molke vom milchsalzhaltigen Teil durch einen Filter getrennt. Die Lösung mit den Milchsalzen fließt durch einen meterhohen Glaszylinder. Dieser erste Ionentauscher soll die zweiwertigen Kationen entfer nen, die beim Austauschen der einwertigen Cäsium–Ionen stören. Die eigentliche Dekontamination findet in einem zweiten dahintergesetzten Glaszylinder statt, der mit Sulfonharz gefüllt ist. „Dieser Ionentauscher könnte gut alles Cäsium aufnehmen, das in der gesamten Molke enthalten ist“, sagt der Professor verschmitzt lächelnd, „doch wir haben die Anlage immer so gefahren, daß nie mehr als 500 Becquerel drin waren.“ Auch in den weitaus dickeren metallummantelten Ionentauschern der größeren Dekontaminationsanlage, die gleich nebenan steht, habe sich nie mehr an Radioaktivität gesammelt. Doch in der Apparatur für seinen Großversuch hat der Professor bereits fast eine ganze Tonne des Molkepulvers mit mehreren Millionen Becquerel Cäsium dekontaminiert. Dabei ist er unabhängig von der zwischen 2.000 und 7.000 Becquerel schwankenden Ausgangsbelastung des Molkepulvers auf Werte unter 100 Becquerel gekommen. Derartige Trennanlagen, so Roiner, seien in Molkerein durchaus schonvorhanden. Man benutze sie, um für die Produktion von Käse, Quark oder Kaffeesahne einzelne Milchsalze auszutauschen. Für den Strahlenschutz fühlt sich Roiner nicht zuständig. Er geht davon aus, daß es für die Großanlage, in der die Strahlenmolke gereinigt werden soll, ein ordentliches Genehmigungsverfahren geben wird. Aus den Umweltministerien erhält man allerdings gegenteilige Auskunft. Die existierenden Vorschriften wie die Strahlenschutzverordnung würden nur für den normalen Betrieb kerntechnischer Anlagen gelten, so das Bundesumweltministerium. Für den Berliner Rechtsanwalt Rainer Geulen, Experte in Atomrechtsfragen, spricht allerdings vieles dafür, daß „sich die Betreiber der Dekontaminationsanlage und die zuständigen Genehmigungsbehörden strafbar machen“, wenn sie für Molke–Reinigung auf eine Genehmigung verzichten. Nach Auffassung Geulens drückt man sich aus politischen Gründen um dieses Genehmigungsverfahren. Man wolle sich nicht mit den lokalen Behörden auseinandersetzen, die für Genehmigungen nach der Strahlenschutzverordnung zuständig seien. Das Bundesumweltministerium plant, zwei Molkereien in Bayern und Niedersachsen das Molkepulver zwecks Entgiftung unentgeltlich zu überlassen. Die Kosten der Dekontamination der Molke sollen aus dem Verkauf des Endprodukts als Viehfutter bestritten werden. Professor Roiner sieht da allerdings noch Schwierigkeiten: „Welcher Lebensmittelhersteller will sich schon mit der belastenden Molke in Verbindung bringen lassen? Die befürchten doch alle Markteinbußen.“

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