: Mit Fernsehsendungen gegen Angeklagten
Memmingen (taz) - Mit recht deutlichen Hinweisen des Vorsitzenden Richters Barner bezüglich der möglichen Strafe für den angeklagten Frauenarzt Theissen endete gestern der 60. Verhandlungstag im Abtreibungsprozeß am Landgericht Memmingen.
Barner wies den Verteidiger Theissens, Wolfgang Kreuzer, darauf hin, daß auch dann verurteilt werden kann, wenn das Gericht eine Notlagenindikation anerkennt. Im formalen Juristendeutsch wurde deutlich gemacht, daß dann eine Verurteilung nach Paragraph 218b und Paragraph 219 in Frage käme. Damit sind gemeint: eine Abtreibung ohne Nachweis einer sozialen Beratung und eine Abtreibung ohne Indikationsstellung durch einen anderen Arzt. Das Strafmaß beträgt jeweils maximal ein Jahr oder eine Geldstrafe. Ohne Zweifel hat sich Theissen formaljuristisch an diese Paragraphen nicht gehalten. Ob seine Verteidiger am Montag noch auf Freispruch plädieren, blieb gestern offen.
In der Anklageschrift der Staatsanwälte werden die Paragraphen 218b und 219 nicht erwähnt, sondern in allen Fällen stur nach Paragraph 218, das heißt Abtreibung ohne Notlagenindikation, angeklagt. Dies geschah vermutlich wegen des höheren Strafmaßes.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurden gestern am vorletzten Verhandlungstag vor der Urteilsverkündung Videoaufzeichnungen von TV-Sendungen gezeigt. Mit Äußerungen von Theissen, die er in Sendungen des NDR, des HR und des Bayerischen Rundfunks (BR) (im berüchtigten Report München) gemacht hatte, sollte bewiesen werden, daß er unter „bedingtem Vorsatz“ gehandelt habe.
In den „Genuß“, die Aufzeichnung von Report zu sehen, kam das Gericht erst durch einen Beschlagnahmebeschluß. Die Justitiare des BR hatten die Herausgabe des Films an das Gericht abgelehnt mit der Begründung, man wolle nicht in den Verdacht kommen, den Ermittlungsbehörden zuzuarbeiten. Dagegen hatten der NDR und der HR ihre Filme ohne Widerspruch herausgegeben. Dies überrascht umso mehr, als in Report von Theissen nichts „Belastendes“ (im Sinne der Staatsanwaltschaft) zu hören war. Er hatte - aus schlechter Erfahrung - kein Statement mehr gegeben. Dagegen hatte sich Theissen in den Sendungen des NDR und des HR sehr kritisch geäußert und den Paragraphen 218 hart angegriffen.
GS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen