: Mit Bargeld zum Recht
Vor das Sozialgericht zu ziehen, soll künftig Gebühren kosten. Der Bundesrat hat einem entsprechenden Gesetzesvorhaben schon zugestimmt. Die Gewerkschaften kritisieren, dass gerade die Armen davon abgeschreckt würden, ihr Recht einzufordern
VON KARIN CHRISTMANN
Seit die Hartz IV-Gesetze im Januar 2005 in Kraft traten, kämpfen die deutschen Sozialgerichte mit einer Flut von Klagen. Mal geht es darum, ob der gemeinsame Zahnputzbecher schon eine „eheähnliche Gemeinschaft“ mit gegenseitiger Unterhaltspflicht begründet, mal ist strittig, ob eine Wohnung noch angemessen oder schon zu groß für einen Arbeitslosengeld II-Empfänger sein soll. Der Lösungsvorschlag, der dem Gesetzgeber dazu eingefallen ist: Er möchte die Gerichtsgebühren erhöhen, um – so heißt es im Gesetzesentwurf – „die seit Jahren fortlaufend anwachsende Flut aussichtsloser Gerichtsverfahren einzudämmen“.
Bisher müssen Versicherte, Behinderte und Empfänger von Sozialleistungen keine Gebühren zahlen, wenn sie vor einem Sozialgericht versuchen, ihr Recht einzuklagen. Das betrifft beispielsweise auch alle Empfänger von Arbeitslosengeld II. Geht es nach dem Bundesrat, werden in Zukunft für jeden Kläger 75 Euro fällig, bevor sich ein Sozialgericht mit seinem Problem befasst. In der zweiten Instanz, den Landessozialgerichten, sollen es dann 150 Euro und vor dem Bundessozialgericht 225 Euro sein.
Das würde ausgerechnet die Schwächsten am härtesten treffen, kritisiert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Hamburg. Ähnlich sieht es der Vorsitzende des ver.di-Bundeserwerbslosenausschusses, Peter Heller. Er sagt, es könne nicht sein, dass „die Armen in diesem reichen Land mittels Gebühren abgeschreckt werden, ihr gutes Recht einzufordern.“
In der Tat ist die Begründung, die dem Gesetzentwurf beigefügt ist, recht unverblümt: Eine Gebührenfreiheit sei nicht länger „aus sozialpolitischen Gründen wünschenswert“. Vielmehr sei es „in Hinblick auf die inzwischen dramatische Lage der öffentlichen Haushalte geboten“, die Gebühren zu erheben. Sie seien „das einzig wirksame und verfügbare Mittel“, die „Eingangs- und Kostenflut der sozialgerichtlichen Verfahren zu bewältigen“.
Anders als die Gewerkschafter glaubt der Sprecher des Landessozialgerichtes Hamburg, Gundolf Wagner, nicht, dass die Gebühren Menschen von einer Klage abhalten würden. Stattdessen werde es eine Verschiebung geben: Wer bedürftig sei und die Gebühren nicht bezahlen könne, werde eben Prozesskostenhilfe beantragen. „Bezahlen muss der Staat allemal“, sagt Wagner. Auch der Bundesrat ist sich sicher, die Sozialstaatlichkeit nicht zu gefährden, da es für Bedürftige die Prozesskostenhilfe gebe.
Das sehen die Gewerkschaften anders und erinnern daran, dass der Bundesrat parallel beschlossen hat, für die Prozesskostenhilfe bald pauschal 50 Euro Eigenbeteiligung zu verlangen. Außerdem weist der ver.di-Erwerbslosenausschuss darauf hin, Prozesskostenhilfe würde nur dann bewilligt, wenn eine Klage hinreichende Substanz und Erfolgsaussichten habe – es sei also nicht jedem möglich, sein Recht einzufordern. „Gebühren gerade bei denjenigen einzuführen, bei deren Klagen es um die Existenzsicherung geht – also Arbeitslose, Rentner, Schwerbehinderte – und dann gleichzeitig den Zugang zur Prozesskostenhilfe zu erschweren, ist kaltschnäuzig“, sagt Erhard Pumm, der Vorsitzende des DGB in Hamburg.
Karsten Herold ist Mitglied der Erwerbslosengruppe von ver.di in Hamburg. Der Eindruck, vor den Gerichten würden nur
Querulanten klagen, die gestoppt werden müssten, sei falsch, sagt er. Seine Gruppe bietet eine Rechtsberatung für Empfänger von Arbeitslosengeld II an. Dort würden sie oft von Entscheidungen hören, bei denen die Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II (Arge), die für Hartz IV-Fälle zuständig ist, gegen geltendes Recht verstoßen haben soll. Deshalb findet Herold es besonders brisant, wenn jetzt die rechtliche Gegenwehr erstickt werden soll. „Die Gebühren sind wieder eine zusätzliche Hürde“, sagt Herold.
2005, im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten der Hartz IV-Gesetze, gab es an Deutschlands Sozialgerichten rund 77.000 Streitigkeiten, die sich um das Thema drehten. Im Jahr 2006 waren es schon mehr als 116.000 Verfahren. Aus fast allen Bundesländern kommen Meldungen, dass die Zahl der Klagen sprunghaft ansteige. „Wir hecheln der Arbeitslast hinterher“, sagt beispielsweise die Präsidentin des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen, Monika Paulat.
Das einzige Bundesland, das nicht über die Klagewelle stöhnt, ist Hamburg: „Ich weigere mich, von einer Klageflut zu sprechen“, sagt Sprecher Wagner. Die Belastung sei aber auch deshalb geringer, weil Hamburg als einziges Bundesland auf die Hartz IV-Gesetze reagiert habe, bevor sie in Kraft traten: Die Sozialgerichte hätten sich mit zusätzlichen Richterstellen und auch mit Umbauten auf die Hartz IV-Klagen vorbereitet.