piwik no script img

Archiv-Artikel

Missgeschick eines Einzelnen

betr.: „Deutschtest für Deutsche“

Es ist einfach nur abwegig, wenn Herr Șenocak meint, die Rede von Günther Oettinger beschreibe den „Zustand der deutschen Gesellschaft im Jahre 2007“, in der „das deutsche Nationalgefühl nach wie vor kopflos herumvagabundiert“. Sicherlich war die Rede Oettingers inhaltlich falsch und politisch gefährlich und dumm und zusammen mit seiner sehr späten und nicht überzeugenden Richtigstellung geeignet, einen Rücktritt als angemessen erscheinen zu lassen. Doch das Ganze ist das Missgeschick eines Einzelnen, wenn auch eines höheren Repräsentanten dieses Staates. Dafür kann man nicht die gesamte Gesellschaft haftbar machen.

Ebenso abwegig ist es, der deutschen Gesellschaft und in diesem Fall Herrn Oettinger vorzuwerfen, eine „Relativierung des Nationalsozialismus“ zu betreiben. Die Aufarbeitung der Schrecken des Nationalsozialismus in Deutschland war und ist vorbildlich. Und bezogen auf Herrn Oettinger ist festzustellen, dass die strittigen Aussagen nicht in einem politischen Diskurs erfolgten, sondern in einer Traueransprache, die eine persönliche ist und in erster Linie an die Familie und die Hinterbliebenen des Toten gerichtet war. Er wäre natürlich klüger gewesen – wie in solchen Fällen üblich –, über die Schattenseiten des Verstorbenen entweder den Mantel des Schweigens zu hüllen oder aber diese Schattenseiten zu benennen, im Wesentlichen aber die positive Lebensleistung erstrahlen zu lassen, was im Falle Filbingers ja durchaus möglich wäre. Warum Herr Oettinger hieran gescheitert ist, bleibt ein Rätsel.

BENJAMIN AYDIN, Berlin