Mißfelder provoziert Merkel: Junge Union ärgert Kanzlerin
Die Kanzlerin und der Junge-Union-Chef streiten um die richtige Wahlkampfstrategie: Philipp Mißfelder lobt Merz und Koch. Das hört Angela Merkel gar nicht gern.
Der Tagungsleiter gibt sich überrascht. "Ich würd dann den Punkt, wenns keinen Widerspruch gibt, aufnehmen", sagt Steffen Bilger, Landeschef der Jungen Union in Baden-Württemberg. Der Punkt, das ist die Nominierung eines Kandidaten fürs Präsidium der CDU auf Bundesebene. Den freiwerdenden Posten im höchsten Führungsgremium hatte bislang Hildegard Müller inne, eine enge Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatsministerin in deren Regierungszentrale, bis sie vor kurzem zu einem Wirtschaftsverband überwechselte. Jetzt soll auf Müller Philipp Mißfelder folgen, der Bundesvorsitzende der Jungen Union.
Das war nicht Merkels Wunsch, es war der Wille des mitgliederstärksten Landesverbands Nordrhein-Westfalen und des dortigen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, der nicht eben als enger Freund der Kanzlerin gilt. Aber es kann ja nichts schaden, den Pfahl noch einmal einzurammen, hier auf dem Deutschlandtag der Jungunionisten am Wochenende im baden-württembergischen Rust.
Also meldet sich NRW-Landeschef Sven Volmering zu Wort und sagt, als folge er einer spontanen Eingebung, er halte Mißfelder für den geeigneten Kandidaten. Die Delegierten von Rhein und Ruhr, rund ein Drittel der Jungpolitiker im Saal, schwenken begeistert ihre Fähnchen. Gegenstimmen? Keine.
Nicht einmal fünf Minuten hat die Prozedur gedauert, aber es wurde auch höchste Zeit, denn schon naht die Kanzlerin. Mißfelder springt auf, eilt auf den Parkplatz des Vergnügungsparks, der mit seinen Hotels im italienischen oder spanischen Stil zu einem badischen Las Vegas herangewachsen ist. Gemeinsam absolvieren die beiden einen Rundgang übers Tagungsgelände, posieren einträchtig für Erinnerungsfotos: Mißfelder, der sich 2002 als einer der Ersten für den Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber aussprach und Merkel doch nicht verhindern konnte. Und Merkel, die nun Mißfelders Aufstieg in die engere Parteiführung nicht aufhalten kann.
Es ist nicht so, dass Merkel für ihre Rede dann keinen Applaus bekäme. Sie bekommt ihn nur an den falschen Stellen. Keine Hand regt sich, als sie umständlich den Wahlkalender fürs nächste Jahr ausbreitet und erläutert, dass sie die Europawahl mit einer "spannenden Auseinandersetzung" über das Thema Subsidiarität gewinnen will. Dass die nächste Wahl bereits Ende Januar in Hessen stattfindet, scheint ihr nicht recht präsent zu sein. Erst als ein Zwischenruf daran erinnert, sagt sie: "Da werden wir unseren Freund Roland Koch nach Kräften unterstützen." Als sie merkt, dass der Saal tobt vor Begeisterung, wechselt sie schnell das Thema. Die Szene wiederholt sich, als sie fast beiläufig Helmut Kohls Verdienste um die deutsche Einheit lobt.
Koch und Kohl, das sind hier die Helden - und Friedrich Merz, dessen Wirtschaftskompetenz Mißfelder später am Abend unter großem Beifall rühmt, aber da ist die Kanzlerin schon wieder weg. Die Partei sei nicht breit genug aufgestellt, sagt der Chef des Parteinachwuchses dann auch noch. Schuld am fehlenden Profil sei die große Koalition, hatte Mißfelder gleich zu Beginn gesagt.
Für die "Leistungsträger der Mittelschicht" will sich die Junge Union künftig stärker einsetzen, zur Kritik an einer "in den unteren Gesellschaftsschichten immer weiter verbreiteten Subventionsmentalität" ist seit der Finanzkrise die Kritik an der Wirtschaftselite getreten. In einer programmatischen Broschüre schreibt Mißfelder, diese tendiere dazu, sich "aus der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verantwortung in Deutschland zu lösen". Eröffnet wird der Band von einer Analyse des Göttinger Politologen Franz Walter, der über die Zukunftsängste der Jungen in den mittleren Gesellschaftsschicht schreibt: "Mitte-Menschen wähnen sich gern als Fels in der Brandung moralischen Verfalls."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“