: Miss Preußens Rückkehr
KULT Zweihundert Jahre nach ihrem Tod wird Königin Luise in zahlreichen Ausstellungen gefeiert – und als moderne Frau gepriesen. Doch nicht nur die Deutschen entdecken die preußische Königin der Herzen wieder, sondern auch Litauer und Russen
■ Den 200. Todestag der Königin Luise begeht die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten unter dem Motto „Miss Preußen 2010“. Höhepunkt ist die Luise-Ausstellung im Schloss Charlottenburg, die am 6. März startet (mehr unter www.spsg.de/luise2010).
■ Dem Thema der Luise als Modeikone ist die Ausstellung „Die Kleider der Königin“ in Schloss Paretz gewidmet, die am 31. Juli beginnt. ■ Das Kulturland Brandenburg stellt das Themenjahr 2010 unter den Titel „Frauen in Brandenburg und Preußen“.
VON UWE RADA
Bevor sich Preußens König Wilhelm I. zu seinen Truppen aufmachte, um den Erzfeind Frankreich zu besiegen, besuchte er das Grab seiner Mutter im Schlosspark Charlottenburg. Seine Geste – er legte einen Strauß Kornblumen nieder – war eher die des Sohns als eines Monarchen. Doch jeder in Berlin und Potsdam wusste sie zu deuten, erinnerte sie doch an den bittersten Moment der preußischen Geschichte.
Im Oktober 1806 hatten die preußischen Truppen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt eine verheerende Niederlage gegen Frankreich erlitten. Napoleon marschierte durchs Brandenburger Tor in Berlin ein, der Hof musste Richtung Königsberg fliehen. Unterwegs brach an der königlichen Kutsche ein Rad. Der damals neunjährige Wilhelm und sein Bruder waren untröstlich, da ging ihre Mutter, Luise von Mecklenburg-Strelitz in die Hocke, pflückte einen Strauß blauer Kornblumen und reichte sie ihnen. Nicht nur ihren Untertanen war Preußens Luise eine Königin der Herzen, sondern auch ihren Kindern.
Wilhelms Besuch beim mütterlichen Grab wurde belohnt. Im deutsch-französischen Krieg konnte Preußen seine Schmach rächen, und Wilhelm wurde im Spiegelsaal von Schloss Versailles 1871 zum deutschen Kaiser gekrönt. An der Berliner Siegessäule wurde auch die Szene von der Flucht der königlichen Familie nach Ostpreußen verewigt. Im Figurenschmuck ist ein junger Knabe abgebildet, sein Kopf ist mit Kornblumen bekränzt. So wurde der mütterliche Trost Luises geradewegs zum Gründungssymbol des deutschen Kaiserreichs, und der Luisenkult zum verlässlichen Instrument nationalistischer Propaganda.
Umso erstaunlicher ist die Rückkehr von Luise als Miss Preußen – nicht nur in Deutschland, sondern auch im Kaliningrader Gebiet und in Litauen. Dabei haben die Osteuropäer den Deutschen, die in diesem Jahr den 200. Todestag der Luise begehen, einiges an Erinnerungsarbeit voraus. Schon 2007 wurde die Memelbrücke zwischen dem russischen Sowjetsk, einst Tilsit, und dem litauischen Panemune in Königin-Luise-Brücke zurückbenannt. Seitdem prangt das Porträt der Königin wieder auf dem monumentalen Brückenportal. Hammer und Sichel sind verschwunden.
Schwärmen für den Zaren
Die Umbenennung war auch ein Paradigmenwechsel in der russischen Erinnerungskultur im ehemaligen Ostpreußen. Nachdem die deutsche Vergangenheit zu Sowjetzeiten totgeschwiegen und ihre Hinterlassenschaften – allen voran das Königsberger Schloss – gesprengt wurden, stehen die Zeichen seit den 90er-Jahren auf Spurensuche.
Auch in Sowjetsk. Zweihundert Jahre vor der Rückbenennung der Luisenbrücke war in Tilsit 1807 jenes Friedensabkommen unterzeichnet worden, das die Niederlage Preußens gegen Napoleons besiegelte. Über die Hälfte seines Territoriums büßte Preußen durch den Frieden von Tilsit ein. Bei den vorangegangenen Verhandlungen auf zwei Pontonzelten auf der Memel war Preußen seiner völligen Zerschlagung nur entgangen, weil sich Russlands Zar Alexander I. dagegen verwahrte.
Alexander und das preußische Königspaar, Friedrich Wilhelm III. und Luise von Preußen, hatten sich erstmals 1802 in Memel, heute Klaipeda, getroffen. Seitdem war Luise in schwärmerischer Zuneigung dem Zaren verbunden. Fünf Jahre später trafen sie erneut in Memel ein – als Flüchtlinge vor der Grande Armee Napoleons.
Doch der Moment der Niederlage war auch der Augenblick, in dem Luise zum ersten und einzigen Male die Bühne der Politik betrat. Kurz vor dem Friedensschluss am 9. Juli 1807 trat sie jenen Gang an, den der Maler Nicolas Louis Gosse auf einem Bild festgehalten hat, das heute in der Galerie von Schloss Versailles hängt. Luise sollte Napoleon davon überzeugen, Preußen zu verschonen.
Dass der – erfolglose – Bittgang später zum Opfergang wurde und Luise, wie es Günter de Bruyn nannte, zur „preußischen Madonna“, hatte auch mit ihrer äußeren Erscheinung zu tun. Als der Wagen der Königin das französische Hauptquartier in der Deutschen Straße 24 erreichte, stand Napoleon Bonaparte schon bereit, notierte Tilsits Justizkommissarius Ernst-Ludwig Siehr: „Der Kaiser empfing sie am Wagen, hob sie aus demselben und führte sie an der Hand gefasst die Treppe herauf. Die Königin trug ein weißes Kleid mit Silber durchwirkt. Der König kam zu Pferde hinter dem Wagen.“
Doch Napoleon ließ sich nicht beirren. Legende sind bis heute jene Worte, die ihm die Königin am Ende der Unterredung an den Kopf geworfen haben soll. „Sire, vous m’avez cruellement trompé.“ „Sire, Sie haben mich auf grausame Weise getäuscht.“ Drei Jahre nach ihrem Bittgang in Tilsit starb Luise im Alter von 34 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Ihr zu Ehren hatte die Stadtverwaltung von Tilsit 1907 die Brücke mit dem steinernen Portal bauen lassen, das heute wieder die Büste der Luise trägt.
Welche Botschaft die Luise für die Bewohner von Sowjetsk bereit hält, ließ sich im Juni 2009 in einer Ausstellung im Stadtmuseum beobachten. Nicht nur vom Treffen Luises mit Napoleon und der Niederlage Preußens war da die Rede, sondern auch von den preußisch-russischen Beziehungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Alexanders Veto gegen die Zerschlagung Preußens war Teil eines strategischen Bündnisses zwischen den Hohenzollern und den Romanows. Immer wieder wurde dieses Bündnis auch durch Heiratspolitik bekräftigt. So ehelichte Luises Tochter Charlotte 1817 den späteren Zaren Nikolaus I. Nicht die militaristischen Traditionen Preußens, wegen derer Stalin 1945 das nördliche Ostpreußen als Beute beanspruchte, stellt die russische Luisenrezeption in den Vordergrund, sondern die deutsch-russische Freundschaft, deren jüngster Ausdruck die Ostseepipeline von Gerhard Schröder und Wladimir Putin ist.
Ganz anders in Litauen. In Klaipeda, dem früheren Memel, steht weniger die nationale als die regionale Erinnerung im Mittelpunkt. In der Danes gatve 17 erinnert eine Gedenktafel an das Haus, in dem Luise und Friedrich Wilhelm 1807 Unterschlupf gefunden hatten und Memel zur unfreiwilligen Hauptstadt Preußens wurde. Doch es ist nicht nur Lokalkolorit, das hier versprüht wird, sondern auch der Stolz, tatsächlich Schauplatz der Geschichte gewesen zu sein.
Ein Faible für Reformen
Das betrifft vor allem die preußischen Reformen, mit denen der Hof auf die Schmach von Tilsit reagierte. Schon drei Monate nach dem Friedensschluss wurde in Memel das berühmte Oktoberedikt unterzeichnet, mit dem der Freiherr vom Stein 1807 die Bauernbefreiung verkündete. Nicht in Berlin, sondern vom heutigen Litauen aus begann das Jahrhundertwerk der „Reformen von oben“.
Dass Luise bei aller Zurückhaltung zu den Sympathisanten der Reformer gehörte, weiß man im heutigen Klaipeda nur zu gut. Auch Memel profitierte damals von der Einführung der kommunalen Selbstverwaltung, die ebenfalls zum Reformwerk gehörte. Die Autorinnen Rasa Krupaviciute und Jovita Sauleniene haben der Luise in Memel darum ein ganzes Buch gewidmet.
Für Alvydas Nikzentaitis hat die litauische Erinnerung an Luise auch mit dem Thema Heimat zu tun. Anders als die Bewohner im Kaliningrader Gebiet haben sich die Litauer im Memelland schon zu Zeiten der Sowjetunion mit dem kulturellen Erbe Ostpreußens beschäftigt. Die Tatsache, dass die Memelniederung bis 1945 eine multikulturelle Region war, in der Deutsche, Litauer, Juden und autochthone „Memelländer“ wohnten, erleichtere es, dass in Klaipeda heute Platz für „viele Heimaten“ ist, meint der Direktor des litauischen historischen Instituts. Der Umgang mit dem historischen Erbe, sagt Nikzentaitis, sei der Gradmesser für die Herausbildung einer regionalen Identität.
Dass Luise dabei die Geburtshelferin spielte, ist nicht nur ihrer Rolle als Monarchin geschuldet, sondern auch ihrer Vorbildfunktion für viele Frauen in Preußen. Bevor Luise in den Befreiungskriegen von den Freikorps, im Kaiserreich von den Deutschnationalen und später dann von den Nazis vereinnahmt wurde, war sie auch ein Role Model, das die Gepflogenheiten am preußischen Hof gehörig durcheinander wirbelte. Ihre Kinder zum Beispiel ließ sie sich nicht wegnehmen, sondern erzog sie – Skandal! – selbst.
In Paretz bei Potsdam inszenierten sich König und Königin als bürgerliches Paar, das die Nähe zum Volk nicht scheute, sondern suchte. Dass Luises Hochzeit mit Friedrich Wilhelm eine Liebesheirat war und die Mätressen bald aus dem Stadtschloss verschwanden, tat ein Übriges. Luise wurde zur Ikone einer neuen Bürgerlichkeit.
So ist beim Luisengedenkjahr 2010 für jeden etwas dabei. Die Nostalgiker freuen sich, dass es lange vor Sisi und Lady Di eine Königin der Herzen gab. In Litauen und Russland wird der einst deutschnationale Luisenkult umdefiniert zum grenzüberschreitenden Gedenken an die Königin des Ostens. Und die Verfechter einer neuen Bürgerlichkeit finden in Luise endlich die passende Patin ihrer neobürgerlichen Behaglichkeit. Kaum ein Mädchenname war in den letzten Jahren so populär wie der von Miss Preußen.
■ Von unserem Autoren erscheint im Juli im Verlag Siedler: „Die Memel. Kulturgeschichte eines europäischen Flusses“