: Miroslav Holub
Man denkt unwillkürlich an den frühen Gottfried Benn oder an William Carlos Williams, den Holub oft zitiert: die gleiche Besessenheit beim Ausüben des Doppelberufs von Dichter und Mediziner.
Holub, 1923 in Pilsen geboren, in Prag lebend, hat als Immunbiologe inzwischen mehr als ein halbes Hundert wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht. Sein Hauptwerk behandelt die Immunologie nackter Mäuse (1989). Die Sicht des Mannes am Mikroskop prägt die Schrift seiner Gedichte, die ab 1947 in Zeitschriften erschienen und nun vierzehn Gedichtbände in tschechischer Sprache füllen. Von 1974 bis 1982 hatte er in seiner Heimat Publikationsverbot, „nicht wegen eines Gedichts, nicht wegen eines Buches“, sondern weil er einen regierungskritischen Aufruf unterzeichnet hatte. Der demokratische Wandel in seinem Land sollte nicht die erstickende Atmosphäre vor 1968 vergessen lassen, die sein Gedicht Die Tür auf lakonische, denkwürdige Weise registriert.
Fragen zu seiner Doppelberufung beantwortet er so: „Wenn ich das Mikroskoplicht lösche, bleibt mir noch die Möglichkeit, über das Arbeitsergebnis oder über etwas anderes zu schreiben. Habe ich ein Gedicht fertiggeschrieben, bleibt nichts sonst, es ist zu Ende. Nicht nur gegenüber der Wissenschaft, sondern auch gegenüber dem sogenannten Leben ist ein Gedicht für mich das, was übrigbleibt, was kurz vorm Ausgehen der Zeit und der Kraft steht.“
Von Gedichtband zu Gedichtband hat sich Holubs Skepsis und Toleranz, seine Illusionslosigkeit und sein Kampf gegen Pathos vergrößert. Lyrisch-prophetischer Subjektivismus ist ihm fremd: „Keine Ideen außer in Dingen“, wie Williams postulierte. Der spricht, erleidet Angst, spricht aber konkret in einem größeren Kontext. Weder eine Zelle noch ein Mensch lebt allein. Kaum ein anderer Dichter unserer Zeit hat über einen Zeitraum von vierzig Jahren auf akkuratere Weise seine Lyrik zu einem „existentialistischen Mikroskop“ (Ian Milner) und gesellschaftlichem Barometer gemacht. Joachim Sartorius
Bibliographischer Hinweis:
„Obwohl...“, Gedichte, Hanser, 1969 (vergriffen)
„Aktschlüsse/Halbgedichte“, Hanser, 1974
In Vorbereitung:
„Vom Ursprung der Dinge“, Gedichte, Hanser, Frühjahr 1991
Alle drei Gedichtbände sind von Franz Peter Künzel aus dem Tschechischen
ins Deutsche übertragen
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