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■ Miriam Daly war seit 1977 Vorsitzende der Republikanischen Partei IRSP. Killer haben sie drei Jahre später zu Hause in Belfast regelrecht hingerichtet. Eine Aktion der Briten? Ralf Sotscheck überDie Rache für eine Autobombe

Die Rache für eine Autobombe

Der 26. Juni 1980 war ein regnerischer Sommertag in Belfast. Miriam Daly ging von ihrem Haus in der Andersonstown Road über die Straße zum Bäckerladen, um Brot und ein wenig Kuchen zu kaufen.

Andersonstown ist ein weitläufiges Viertel im Westen der nordirischen Hauptstadt, in dem vor allem die katholische Mittelklasse lebt. Miriam Daly und ihr Mann Jim wohnten in einer recht geräumigen Doppelhaushälfte.

Da die Dalys keine Kinder bekommen konnten, hatten sie die Zwillinge Dónal und Marie adoptiert. Miriam Daly kaufte meistens, kurz bevor die beiden aus der Schule kamen, beim Bäcker gegenüber etwas fürs Abendessen. Die Verkäuferin war – außer den Mördern – die letzte Person, die Daly lebend sah.

Miriam Daly, die an der Queen's University Belfast Wirtschaftswissenschaften lehrte, und ihr Mann Jim – ebenfalls Dozent an der „Queen's“ – waren Anfang 1977 in die Irisch-Republikanische Sozialistische Partei (IRSP) eingetreten. Die Partei hatte sich 1974 von der Offiziellen Sinn Féin – die heute „Democratic Left“ heißt und in der Dubliner Koalitionsregierung sitzt – und IRA abgespalten, weil man den einseitigen Waffenstillstand ablehnte.

Da jedoch viele der Überläufer auch ihre Waffen mitgenommen hatten, wurde die neue Partei von der Offiziellen IRA zunächst erbarmungslos verfolgt, so daß sie eine „Schutzarmee“ aufstellte, die sich später Irische Nationale Befreiungsarmee (INLA) nannte. Doch auch sie konnte nicht verhindern, daß Seamus Costello, der Gründer und Kopf der IRSP, in Dublin in seinem Auto erschossen wurde.

Die Dalys waren anders als die meisten IRSP-Mitglieder von der Provisorischen Sinn Féin gekommen, weil sie deren Föderalismus- konzept als „Fortsetzung der Teilung Irlands mit anderen Mitteln“ vehement ablehnten. Kurz nach ihrem Beitritt saßen beide bereits im Parteivorstand, und auf dem Parteitag 1978 wurde Miriam zur Vorsitzenden gewählt. In einer ihrer ersten Reden übte sie scharfe Kritik an Airey Neave, dem engen Vertrauten der britischen Regierungschefin Maggie Thatchers und Nordirlandexperten der Tories, der immer stärker ins Kreuzfeuer der IRSP geriet.

Doch hinter den Kulissen rumorte es in der Partei bereits kräftig. Miriam Daly beklagte sich darüber, daß ihr von seiten des Vorstands ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen würden, ihr Mann Jim deutete an, daß die INLA die Position Miriam Dalys als Parteivorsitzende untergraben würde. Als dann eine Diskussion über veruntreute Parteigelder in eine große Schlammschlacht mündete, trat Miriam Daly im März 1979 zurück.

Nur wenige Tage später wurden in Großbritannien Neuwahlen angekündigt. Am selben Tag fiel Airey Neave im Parkhaus des Westminster-Parlaments einem INLA- Anschlag zum Opfer — eine Autobombe zerfetzte ihn und seinen Wagen. IRSP und INLA machten zum ersten Mal weltweit Schlagzeilen, doch die internen Querelen wurden dadurch keineswegs bereinigt.

Es gab aber andere Gründe dafür, daß die Dalys im April 1980 aus der Partei austraten: Miriam Daly hatte sich darüber beschwert, daß sie von einem Belfaster INLA- Mann sexuell belästigt worden sei. Die Belfaster Clique hielt jedoch zusammen: Ronnie Bunting, der INLA-Stabschef, machte sogar abfällige Bemerkungen über Miriam Daly.

Zwei Monate später war die ehemalige Parteivorsitzende tot. Niemand weiß, wie viele Killer an jenem 26. Juni 1980 ins Haus der Dalys eindrangen. Fest steht jedoch, daß sie sich durch den kleinen Garten und die Hintertür Einlaß verschafften. Danach kappten sie die Telefonleitung, überwältigten Miriam Daly und fesselten sie mit Händen und Füßen an einen Stuhl.

Eigentlich hatten sie es gar nicht auf Miriam, sondern auf ihren Mann Jim abgesehen. Er war jedoch am Morgen nach Dublin gefahren. Nach einer Weile wurden die Killer ungeduldig. Einer drückte Miriam Daly ein Kissen ins Gesicht und feuerte mit einer halbautomatischen Pistole fünf Schüsse vom Kaliber neun Millimeter in ihren Kopf. Das Kissen dämpfte den Lärm, die Nachbarn hörten die Schüsse nicht.

Kurze Zeit später kam die zehnjährige Marie aus der Schule und fand ihre Mutter, die tot im Flur lag. Das blutige Kissen lag dicht neben dem Kopf.

Obwohl Miriam Daly aus der IRSP ausgetreten war, bekam sie eine militärische Beerdigung. Vier maskierte Männer feuerten ein Ehrensalut über ihren Sarg. Auf dem Milltown Friedhof am Ende der Andersonstown Road, wo sie auf die Falls Road trifft, stellte man einen Gedenkstein für die „Kämpferin“ auf. Ein ehemaliger INLA- Führer sagte jedoch, daß sie manchmal zwar Waffen und Sprengstoff transportiert habe, aber nie Mitglied des militärischen Flügels gewesen sei.

Später wurde der Sarg nach Swords, einem Vorort von Dublin, zum Familiengrab geschafft. Die Trauergemeinde bei der Beerdigung war recht ungewöhnlich: Neben den IRSP- und INLA-Vertretern standen am Grab auch der ehemalige IRA-Stabschef Seán Mac Stiofáin und Sinn-Féin-Präsident Ruairí Ó Brádaigh, der Geschichtsprofessor F. X. Martin und der Philosoph James McEvoy sowie Dónal Barrington, einer der höchsten Richter Irlands – ein Zeichen für den hohen akademischen Ruf, den Miriam Daly genoß.

Keine Organisation hat jemals die Verantwortung für den Mord übernommen. Knapp vier Monate später schlugen die Killer erneut zu. Diesmal traf es Ronnie Bunting und Noel Lyttle, den Pressechef der IRSP, der in der Mordnacht im Hause Buntings übernachtet hatte. Die Mörder, zwei maskierte Männer, kannten sich im Haus gut aus und wußten genau, in welchen der sieben Zimmer sie Bunting und Lyttle finden würden. Sie führten die Morde mit militärischer Präzision und ohne Hektik aus, berichtete Buntings Frau Suzanne später. Sie hatte den Anschlag überlebt, obwohl ihr die Täter eine Kugel in den Mund feuerten.

Wieder übernahm keine Organisation offiziell die Verantwortung. Suzanne Bunting ist jedoch davon überzeugt, daß bei den Morden an ihrem Mann, an Noel Lyttle und an Miriam Daly die „Sicherheitskräfte“ ihre Hände im Spiel hatten. Sie sagt, daß die britische Regierung es vor allem auf Daly und Bunting abgesehen hatte, weil sie die beiden aufgrund ihrer Hochschulbildung und ihrer Herkunft aus der Mittelschicht für die eigentlichen „Gehirne“ von IRSP und INLA hielt. Die Rechnung ging auf.

Die Morde, so meint ein ehemaliger INLA-Mann, waren der Auslöser für einen internen Konflikt zwischen den jüngeren Mitgliedern des bewaffneten Flügels und der älteren Parteiführung, der lange Zeit schwelte und schließlich in ein Blutbad mündete. 1986 spalteten sich INLA und IRSP in mehrere Fraktionen, deren Aktivitäten sich zunehmend auf Geldbeschaffungsmaßnahmen und interne Fehden beschränkten.

Innerhalb weniger Wochen des Jahres 1987 wurden zwölf Leute von ihren ehemaligen Genossen umgebracht. Übrig blieben zwei Splittergruppen, deren politische und militärische Bedeutung nur noch sehr gering sind.

Wo aber sind die Mörder von Miriam Daly zu suchen? Schon nach dem Bombenanschlag auf Neave hatte Bunting prophezeit: „Die Thatcher wird uns das mit Zinsen heimzahlen.“

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