Ministerpräsidentenwahl in Armenien: Landesweiter ziviler Ungehorsam
Die Proteste zur Unterstützung des Oppositionsführers Nikol Paschinjan halten an. Er wurde am Dienstag nicht vom Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt.
In der Hauptstadt versperrten Demonstranten alle Hauptstraßen mit Fahrzeugen und Mülltonnen. Auch die Straße zum Flughafen wurde blockiert. Der lokale Bahnverkehr wurde eingestellt. Die Polizei forderte ein Ende der Blockaden, schritt aber zunächst nicht ein. Paschinjan hatte zu Protesten aufgerufen, nachdem er am Dienstag nicht zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.
Der armenische Präsident Armen Sargsjan und der vorläufige Ministerpräsident Karen Karapetjan forderten am Mittwoch weitere Gespräche, um die Regierungskrise zu entschärfen. Eine neue Abstimmung wird nach Angaben des Parlaments am 8. Mai stattfinden. Auf die Frage, ob Paschinjan ein zweites Mal kandidieren werde, antwortete er: „Wir werden darüber nachdenken und verhandeln.“ Scheitert der zweite Versuch des Parlaments, einen Ministerpräsident zu wählen, kommt es zu Neuwahlen.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin äußerte sich erleichtert, dass die Proteste und Demonstrationen friedlich geblieben seien. Zugleich rief er die Sicherheitskräfte und Demonstranten auf, „weiterhin Besonnenheit walten zu lassen“. Alle sollten einen Dialog suchen, um auf verfassungsmäßigem Weg eine neue Regierung zu bilden, die die Interessen aller Armenier vertrete.
Die Regierungskrise dauert bereits mehrere Wochen. Der vorherige Ministerpräsident Sersch Sargsjan war im April nach wochenlangen Protesten zurückgetreten. Er war zuvor zehn Jahre als Präsident im Amt, erreichte aber das Limit der erlaubten Amtszeit. Daraufhin war er vom Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Zuvor waren viele Vollmachten des Präsidenten auf den Ministerpräsidenten übertragen worden. Nach dem Amtswechsel warfen Kritiker Sargsjan Machtgier vor, außerdem eine zu große Nähe zu Russland. Sie machen ihn und seine Getreuen auch für Korruption und Armut in dem rund drei Millionen Einwohner zählenden Land verantwortlich.
Die Lage in Armenien wird von Russland aufmerksam verfolgt. In dem Land am Kaukasus sind russische Soldaten stationiert. Die Regierung in Moskau ist besorgt, dass eine ähnliche Situation wie in der Ukraine 2014 entstehen könnte. Damals hatte eine Volksbewegung zu einem Regierungswechsel und einem Bruch mit Russland geführt.
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