Minister gibt Flüchtlingsprogramm auf: Schäuble lässt seine Christen im Irak
Aus Wolfgang Schäubles groß beworbenem EU-Flüchtlingsprogramm für Iraker wird erst einmal nichts. In Brüssel vollzog der Innenminister eine Kehrtwendung.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zieht seinen Plan zur Aufnahme irakischer Flüchtlinge in Europa zurück. Auf Drängen der irakischen Regierung hin setzte Schäuble sich auf der EU-Innenministerkonferenz am Donnerstag dafür ein, mit konkreten Schritten für eine europäische Flüchtlingsinitiative noch zu warten.
Im Vorfeld hatte Schäuble bei seinen Kollegen aus der EU stets dafür geworben, möglichst zügig die europaweite Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak zu organisieren. Besonders die Christen lagen Schäuble dabei am Herzen, da sie als religiöse Minderheit besonders verfolgt würden. Nun wechselt der Innenminister den Kurs: Ziel sei jetzt erst einmal das "Beobachten der weiteren Entwicklung im Irak und erneute Ratsbefassung in zwei bis drei Monaten", wie die Deutschen Presse-Agentur dpa aus einem Arbeitspapier Schäubles zitiert. Damit ist auch die umstrittene Christenfrage erst einmal vom Tisch.
Der irakische Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki hatte bei seinem Treffen mit Schäuble in dieser Woche die Befürchtung geäußert, dass die massenhafte Aufnahme von irakischen Flüchtlingen die wirtschaftliche Stabilisierung des Landes beeinträchtigen könnte. Maliki sagte außerdem, die Sicherheitslage im Irak habe sich verbessert. Er kündigte an, innerhalb weniger Wochen ein eigenes Rückführungsprogramm für Iraker zu schaffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Mittwoch in Berlin, das irakische Programm solle unterstützt werden.
So viel Verständnis Schäuble für die Anliegen der irakischen Regierung hat, so wenig hat es die Opposition für den plötzlichen Sinneswandel des Innenministers. Noch vor wenigen Tagen habe Schäuble bekräftigt, dass Deutschland mit der Aufnahme besonders schutzbedürftiger Iraker aus den Nachbarstaaten Syrien und Jordanien beginnen wolle, nun komme "der beschämende Rückzieher", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin. Die FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, Schäubles Initiative leide an "Doppelzüngigkeit".
Auch die Evangelische Kirche kritisierte Schäubles Rückzug. Die Situation der etwa 2,7 Millionen Iraker, die in Flüchtlingslagern in Jordanien und Syrien untergekommen sind, sei prekär, sagte Stephan Reimers, der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): "Ihr Aufenthaltsstatus ist befristet, ihre finanziellen Mittel gehen zur Neige, der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt ist ihnen verwehrt." Die EKD appelliere daher an die deutschen Politiker, auch ohne EU-Beschluss Flüchtlinge aus den irakischen Nachbarstaaten aufzunehmen.
Im Innenministerium betonte man, das Thema Flüchtlinge sei nicht von der Tagesordnung. Im Herbst soll laut Ratsbeschluss eine Delegation von UN-Flüchtlingshilfswerk und EU-Kommission nach Syrien reisen, um sich ein Bild von der Lage dort zu machen - als Grundlage für weitere Verhandlungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos