: Mini-Feinde für Arbeitplätze
Reguläre Stellen werden zunehmend durch Minijobs ersetzt, warnt die Arbeitnehmerkammer – „eine erschreckende Tendenz“. Bremische Evangelische Kirche will eine Reichtumsdebatte anstoßen
Bremen taz ■ Die Sozialreformen sind angeschoben – und sie haben teilweise dramatische Wirkung: Kranke wissen nicht, wie die neuen Kosten im Gesundheitswesen stemmen, RentnerInnen in Heimen schämen sich ihrer Armut, unzähligen Erwerbslosen droht mit dem Arbeitslosengeld II der Absturz auf Sozialhilfeniveau. Von der Verarmung ganzer Gesellschaftsgruppen gaben VertreterInnen aus dem Gesundheits-, Behinderten, Alten- und Sozialwesen am Freitagabend in der Stephani-Gemeinde beklemmende Berichte ab.
Der „Umbau des Sozialstaates“ war Thema beim Hearing „Reform oder Abbau?“ des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (KDA) – und die Frage, welche Position die Bremische Evangelische Kirche dazu einnehmen will. „Wir wollen eine Reichtumsdebatte anstoßen“, fasste Berndt Korten für den KDA zusammen.
Von Solidarität war zuvor viel die Rede – und von „armen Socken“. „Das sind Menschen wie du und ich“, sagte Bettina Töpke, Leiterin des Altenheims Kirchweg. Dort brauche rund die Hälfte der 250 BewohnerInnen ergänzende Sozialhilfe, „dabei haben die meisten ihr ganzes Leben gearbeitet“. Doch wer immer wenig verdient hat, dem blieben jetzt nur rund 80 Euro Taschengeld. Zuzahlungen für Arznei- und Hilfsmittel oder Ausgaben für rezeptfreie Medikamente fräßen diese Summe schnell auf. „Diese Armut sehen nur wenige“, sagte Töpke.
Unübersichtlich die Lage bei der Agentur für Arbeit (AA): „Die Hartz-Reformen kennt bei uns kein Mensch vollständig“, räumte deren Vertreter Werner Ahrens ein. Wenn Arbeitslose sich durch die Neuerungen bedroht fühlten, sei das verständlich. Ahrens kündigte aber an, dass die Bremer und die Bundesagentur für Arbeit an einem neuen Modell feilten, das die abgeschafften BSHG-19-Stellen ersetzen solle. Zuvor hatte Renate Krieger von der Einrichtung „Frau und Leben“ kritisiert, die Arbeitsagentur betreibe angesichts von 350.000 offenen Stellen und fünf Millionen Arbeitssuchenden bundesweit eine Politik des „Drängelns und Gängelns“ – statt des Forderns und Förderns. Insbesondere Frauen mit verdienenden Partnern würden demnächst ganz aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II fallen. Weil ihnen diese Zeit nachher im Rentenbescheid fehle, mahnte die Rechtsanwältin Karin Dierks, „jagen diese Frauen gnadenlos in die Altersarmut“. Gleiches gelte für viele Menschen, denen heute keine Zeit mehr bleibe, privat oder mit Riester fürs Alter vorzusorgen, „weil sie gar nicht genug Geld dafür haben“.
„Die am meisten Hilfe brauchen, bleiben auf der Strecke“, kritisierte Hella Baumeister von der Arbeitnehmerkammer. Bei Arbeitsmarktpolitik drängten sich betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund, was dazu führe, dass vor allem teure LeistungsempfängerInnen besonders gefördert würden. In der Region Bremen gebe es daneben eine erschreckende Tendenz zum Minijob: Von 58.900 geringfügig Beschäftigten arbeiteten 75 Prozent ausschließlich in Minijobs, also in Arbeitsverhältnissen, die pro Monat und Job nicht mehr als 400 Euro einbringen. Auch würden zunehmend reguläre Stellen durch Minijobs ersetzt. So seien in den letzten zwölf Monaten 515 richtige Arbeitsplätze im Einzelhandel abgebaut worden, während im gleichen Zeitraum 332 Minijobs entstanden seien. Ähnliche Tendenzen gebe es im Gastgewerbe. In den klassischen Frauenarbeitsbereichen Facheinzelhandel, Gastgewerbe und Reinigung von Gebäuden seien heute schon nahezu zwei Drittel aller Beschäftigten MinijobberInnen. Baumeister wies auch auf die forcierte Bereinigung der Arbeitslosenstatistik hin. So seien im Oktober 2003 rund 4.400 Erwerbslose über 54 Jahren aus der Statistik gefallen, weil es für sie keine Vermittlungschancen gebe.
Der Heidelberger Theologe Prof. Kristian Hungar sagte, die „herrschende Lehre“ setze auf baldigen Aufschwung – nur mit ihm funktionierten die jetzt entwickelten Modelle. „Es kann aber notwendig sein, dass wir uns in unserem Arbeitsverständnis ganz neu organisieren müssen“, sagte Hungar. Die Debatte darüber dürfe niemand den Regierenden überlassen. Vielmehr müssten neue Formen der Bürgerbeteiligung gefunden werden. Die Kirche müsse dafür Impulse geben. ede