Millionen verschenkt, Millionen versenkt

WERTSTEIGERUNG Für 200 Millionen Euro will der angeschlagene Großinvestor Anno August Jagdfeld das geräumte Tacheles verkaufen. Dabei dürfte er das Gelände eigentlich gar nicht mehr besitzen

VON JURI STERNBURG

Das Tacheles steht – mal wieder – zum Verkauf: Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg kostet das 25.000 Quadratmeter große Areal zwischen Oranienburger Straße und Friedrichstraße 200 Millionen Euro. Das ist eine stolze Summe angesichts der Tatsache, dass der Grundstückswert vom Amtsgericht Mitte noch 2009 auf gerade mal 35 Millionen Euro taxiert worden war. „Wir verhandeln mit mehreren Interessenten. Die Gespräche sind auf einem sehr guten Weg“, sagte Christian Plöger, Sprecher des Eigentümers Anno August Jagdfeld, am Mittwoch der taz. Jagdfeld ist Vorsitzender der Fundus-Gruppe, die bundesweit Immobilien besitzt.

Die 200 Millionen Euro, die Plöger ausdrücklich nicht dementiert, sind eine stolze Summe auch angesichts der Tatsache, dass das heutige Filetgrundstück 1995 für lediglich 61,8 Millionen Mark – also rund 30 Millionen Euro – vom Bund an eine von Jagdfeld geleitete Fundus-Tochtergesellschaft vergeben wurde: die Fundus Baubetreuungs GmbH & Co Projektentwicklungs KG. Das Pikante daran: Es gab keine Ausschreibung. Etwaige Konkurrenten hatten keine Chance. Warum der Bund auf eine Ausschreibung verzichtet hat, ist völlig unklar. Auf Nachfrage erklärt Thorsten Grützner, Bevollmächtigter der zuständigen Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima): „Die Veräußerung erfolgte wegen vermögensrechtlicher Ansprüche Dritter auf der Grundlage eines Investitionsvorrangbescheides (IVB), nachdem die Voraussetzungen hierfür erfüllt waren.“

Der IVB enthält eine entscheidende Bedingung: Es mussten auf dem Gelände Investitionen in Höhe von mindestens 180 Millionen Mark (rund 85 Millionen Euro) erfolgen, und zwar bis zum Jahr 2007. Ansonsten wäre eine Strafe in Millionenhöhe fällig geworden, zu zahlen an den Bund. Zudem wäre die Vergabe rechtlich hinfällig – der Bund hätte das Gelände also zurückbekommen müssen. Auch das regelte der IVB.

Investiert wurde bis 2007 jedoch fast nichts: Lediglich die Grundsanierung des Tacheles-Gebäudes in Höhe von 3 Millionen Euro hat die Fundus-Gruppe finanziert, erklärt Ludwig Eben, Mitbesetzer des Tacheles und langjähriger Betreiber des Cafés Zapata. Eben hat sich intensiv mit den Finanzdeals rund um das Tacheles beschäftigt, mehrere prall gefüllte Aktenordner mit Unterlagen zusammengetragen. Darin: Grundbucheinträge, Handelsregisterauszüge, Kaufverträge, Protokolle. „Inzwischen ergibt sich ein komplettes Bild des Tathergangs“, sagte Eben der taz. „Es handelt sich um Betrug für Fortgeschrittene, bis in höchste Regierungsspitzen.“ Mit dem IVB könne man – rückwärts gelesen – eine Ausschreibung verhindern, wenn ein Dritter unverbindlich Rückübertragungsansprüche anmeldet. „Dies ist hier geschehen. Die dritte Person wird bis heute allerdings in sämtlichen Akten geschwärzt und geheim gehalten. Die Grundbucheinträge deuten darauf hin, dass sie gar nicht existiert.“

Die Bedingungen des IVB wurden also bis zum Stichtag eindeutig nicht erfüllt. Aber weder hat der Bund – sprich der Steuerzahler – in der Folge Geld gesehen, noch gehört das Gelände wieder dem Staat.

Und sogar als der Investor 2007 pleiteging, passierte dies nicht. Stattdessen sollte das Tacheles-Grundstück in der Folge sogar zwangsversteigert werden, zwei Termine wurden anberaumt – und ohne Begründung wieder abgesagt. Der Bund der Steuerzahler wies Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am 22. Februar 2011 in einem Schreiben, das der taz vorliegt, auf diesen Vorgang hin. Darin steht: „Ich bitte Sie, gegebenenfalls erneut prüfen zu lassen, ob diese Versteigerung für den Bund die bestmögliche Lösung darstellt.“ Denn, so heißt es weiter: Es böte sich „aus unserer Sicht die Option, dass der Bund von den Grundstücksverträgen wegen Nichterfüllung der Investitionspflicht zurücktritt, die Kaufpreisrückerstattung gegen die vereinbarte Vertragsstrafe des Käufers aufrechnet und die zurückerlangten Grundstücke erneut zu einem dann zweifellos höheren Kaufpreis als seinerzeit veräußern kann.“

„Schwere Veruntreuung“

Ludwig Eben geht davon aus, dass den Steuerzahlern beim Verkauf des Tacheles mindestens 50 Millionen Euro vorenthalten wurden: „Durch Verzicht der Strafzahlung fehlen 18 Millionen Euro, und durch die nicht erfolgte Ausschreibung dürften dem Staat 60 Millionen Mark entgangen sein. Das macht 50 Millionen Euro.“ Eben spricht von einer „schwerer Veruntreuung zu Lasten der Steuerzahler“.

Warum aber wollte der Bund kein Geld sehen? Auch hier reagiert die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zugeknöpft: „Eine etwaige Strafzahlung gegen die Käufer wäre nicht realisierbar gewesen“, erklärte Thorsten Grützner im Herbst 2013. Auf die Nachfrage, wieso dies so sei, sagte er: „Für diese Aussage waren wirtschaftliche Erwägungen ausschlaggebend.“ Diese Einschätzung dürfte nicht ganz falsch sein, denn der Eigentümer Fundus ist seit 2007 pleite. Seitdem wird das Tacheles-Gelände durch den Hauptgläubiger, HSH-Nordbank, zwangsverwaltet.

Die zentrale Person bei diesen Finanzdeals ist Anno August Jagdfeld, der 1995 das Tacheles-Grundstück übertragen bekam. Zu dieser Zeit wurde sein Vermögen auf rund 1 Milliarde Mark geschätzt. Jagdfeld hat unter anderem in das Grandhotel Heiligendamm investiert, er war de facto Eigentümer des Hotels Adlon und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse. In den vergangenen Jahren gerieten einige seiner Großprojekte in finanzielle Schieflage, mehrfach ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen ihn.

Lag es an seiner Person, dass das Gelände 1995 ohne Ausschreibung vergeben wurde? Lag es an seiner Person, dass die Bima die fälligen Strafzahlungen nicht eintreiben wollte? Absurderweise könnte sich Jagdfeld durch einen erfolgreichen Verkauf des Tacheles-Geländes zumindest zum Teil sanieren – auf Kosten der Steuerzahler.