Milliardeneinbußen für Entwicklungsländer: Überweisungen in die Heimat stocken
Die Geldüberweisungen von Migranten in ihre Herkunftsländer gehen zurück. Am härtesten trifft es Länder, die vor allem von den USA abhängig sind.
Mexiko ist ganz vorneweg. Noch 2007 flossen mindestens 24 Milliarden US-Dollar von den Konten mexikanischer Migranten im Ausland an die Familien zu Hause, das waren knapp drei Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Aber in diesem Jahr stockt der Zufluss. Im August gingen die Rücküberweisungen erstmals um zwölf Prozent zurück. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor, aber die mexikanische Notenbank bestätigt, dass sich der Trend fortsetzt.
Der Grund: Die allermeisten mexikanischen Migranten - rund 25 Millionen - arbeiten in den USA und dort vor allem im Baugewerbe. Hypothekenkrise und Rezession wirken sich direkt auf ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen aus. Es bleibt schlicht weniger, was sie nach Hause überweisen können. Mexiko ist so direkt getroffen, weil die Migration praktisch nur in die USA stattfindet. Und die befinden sich seit Dezember 2007 in der Rezession, während die Krise erst später in die anderen Länder exportiert wurde.
Aber ein Einzelfall ist Mexiko auch nicht - oder wird es zumindest nicht bleiben. In ihrem jetzt vorgestellten vierten Weltmigrationsbericht warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM), eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, vor Milliardeneinbußen für die Entwicklungsländer. "Die Transfers gehen schon in diesem Jahr zurück, nächstes Jahr wird sich der Trend verstärken", so IOM-Direktor Gervais Appave. Zahlen nannte er nicht. Aber bei der Weltbank heißt es, 2009 könnten die Rücküberweisungen um bis zu sechs Prozent schrumpfen.
In den letzten Jahren waren die Transfers beständig gestiegen. Machten sie 2002 weltweit noch rund 170 Milliarden US-Dollar aus, erreichten sie 2007 einen Rekordstand von 337 Milliarden. Gut 240 Milliarden davon fließen in Entwicklungsländer. Das ist mehr als doppelt so viel wie die offizielle Entwicklungshilfe, die laut IOM jährlich rund 105 Milliarden US-Dollar beträgt. Der größte Teil der Rücküberweisungen geht nach Indien, China und Mexiko. Noch wichtiger sind sie aber für kleinere Länder wie Tadschikistan oder Moldawien: Dort machen sie 45 beziehungsweise 38 Prozent der Wirtschaftsleistung aus.
In der Regel verwenden die Migranten das Geld zur Unterstützung der eigenen Familie. Die Migrationsforscher haben jedoch einen weiteren Trend ausgemacht: Migrantenverbände in den Gastländern nutzen die Überweisungen, um die Infrastruktur in ihren Herkunftsländern auszubauen - oder auch, um Prestigeprojekte wie Moscheen zu finanzieren. Weil die Familien oder Gemeinden, die die Dollars oder Euros bekommen, frei entscheiden können, wofür sie sie ausgeben, sind die Rücküberweisungen nicht mit staatlicher Entwicklungshilfe zu vergleichen. Trotzdem versuchen die Industrieländer, sich die privaten Geldflüsse anzurechnen und so ihre Entwicklungshilfe-Bilanzen zu schönen.
Dass sich die Transfers der Migranten verringern, zeigt die neue weltweite Krise. Bislang galten Rücküberweisungen für die ärmeren Länder als eine der stabilsten Quellen von ausländischem Geld. Direktinvestitionen etwa sind konjunkturabhängig und brechen sofort weg, wenn die globale Liquidität nicht mehr stimmt. Und erfahrungsgemäß sinkt auch die Entwicklungshilfe. Beim Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut hält man es für möglich, dass diese weltweit um bis zu einem Drittel zurückgeht, wie es in den 1990er-Jahren in einzelnen Ländern der Fall war. Damals kürzte zum Beispiel Japan so seine Unterstützungen. Die Rücküberweisungen stiegen in der Vergangenheit oft antizyklisch. In der Asienkrise retteten sie die philippinische Volkswirtschaft vor der Rezession.
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