piwik no script img

■ Militante Vegetarier und SchweinejournalismusAuf zur Schnitzeljagd!

Nachrichten und Geschichten fallen einem auf den Schreibtisch, so kompliziert, daß man dahockt wie ein Rindvieh. Da rüttelt, beispielsweise, gestern Bild auf mit der hübschen Schlagzeile: „Fleisch-Hasser jagen Wurst-Laster.“ Um 4 Uhr in der Früh also ist in Berlin-Kreuzberg ein Richard S. geschnappt worden (einE KomplizeIn ist flüchtig). Der „eingefleischte Vegetarier“ (Berliner Zeitung) hatte einen Lieferwagen aufgebrochen, mittels Gullydeckel (igitt!), und wollte ihn samt den Darmlümmeln grillieren. Eine Zivilstreife aber, ähm, roch den Braten.

Nun führt die Aktion direkt zur Diskussion der Gewaltfrage, welche sich in diesem Fall so stellt: Ja, geht denn jedwede Schnitzeljagd in Ordnung, ist sie gar sinnvoll? Warum richtet sich die Wut des Richard S. gegen arme Würstchen, anstatt das lebende Schwein zu befreien und zu liebkosen? Und, ganz davon abgesehen, daß zwei Ringe in der Unterlippe des Mannes auf krude Ernährungsgewohnheiten schließen lassen: War er pc gekleidet – politisch korrekt?

Gerade nämlich hat die Zeit den aufgeregten Tierfreunden ordentlich das Fell gegerbt. Heuchlerische Gefühlsdusel seien das, die noch immer mit süßen Robbenbabys hausieren gingen, wiewohl die längst nicht mehr verarbeitet würden. Aber wenn Haare an der Haut hängen, rühre eben Mitleid das Herz. Und, wo schon die eine oder andere heilige Kuh geschlachtet war, wurde auch dies angeprangert: Schamlos verhüllten militante Viehschützer ihr eigen Fleisch mit Lederklamotten und dito -schuhen. Hah!

Es ist leider nicht berichtet, ob Richard S. und Co korrekt in Hanfsocken und Gummilatschen die Welt vom Laster der Wurst befreien wollten. Weitergegeben werden kann nur Bild-Schlußzitat eines Polizisten übers Vegi-Duo: „Ihr Haß auf Andersdenkende ist tierisch.“ Das ist natürlich prima erfunden, womit die Süddeutsche Zeitung von gestern ins Spiel kommt und ein Artikel über die Pressetage in der Ev. Akademie Tutzing, Thema: Schweinejournalismus.

Fernab von Schlachthöfen, ist zu erfahren, wird in Redaktionsstuben die Wahrheit gemetzelt. Weshalb Oskar Lafontaine der Presse die schwere Kette des Gegendarstellungsrechts anlegen will. Wäre also Oskar L. in Kreuzberg dingfest gemacht worden, müßte Bild nun auf Seite 1 drucken: Wahr ist, daß der Wurst- Laster nicht von mir gejagt wurde, weil „jagen“ eine Bewegung impliziert, der Wagen jedoch mit angezogener Handbremse stand. Im übrigen hielt ich mich zur angegebenen Zeit im Etablissement „Chez Madelaine“ auf ... uswusf.

So ist die Welt, äußerst komplex. Daran sollten alle denken, wenn sie demnächst beim Fleischer wieder mal 100 Gramm Jagdwurst bestellen. Herr Thömmes

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen