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Militante MusikerHaftstrafe abgeblasen

Straßenmusiker gegen Fahrgast: Ein Trompeter bekommt neun Monate auf Bewährung, weil er einem Dachdecker mit seinem Instrument die Zähne ausschlug.

Trompete geht auch ohne Gewalt. Bild: dpa

Als die Handwerker am 10. Oktober um 17 Uhr am Spittelmarkt in die U 2 steigen, ahnen sie nichts Gutes. Denn mit ihnen zusammen besteigt eine kleine Musikkapelle die Bahn, ausgerüstet mit zwei Trompeten und einer großen Trommel. Der 45-jährige Zimmermann, der 38-jährige Dachdecker und ein weiterer Kollege haben bereits einen lauten Arbeitstag auf dem Bau hinter sich. Als das Trio in der voll besetzten Bahn loslegt, reicht es dem Zimmermann mit dem breiten Kreuz.

„Macht mal die Musik aus“, habe er gefordert, sagt am Donnerstag ein Zeuge im Amtsgericht Tiergarten mit brummiger Stimme. Viele Fahrgäste hätten bereits mit den Augen gerollt. Ein Streit, wie er nicht selten vorkommt, wenn Fahrgäste schrille Töne ertragen müssen. Doch diesmal endet er blutig. „Gebt uns 20 Euro, dann hören wir auf zu spielen“, sollen die Musiker entgegnet haben, die Walzer und Tango zum Besten geben. Die beiden Kollegen des Zimmermanns stellen sich nun auch vor die Musikanten. Die Situation eskaliert, es wird geschrien und geschubst. „Dann ging das los mit dem Getatsche“, sagt der Zimmermann. „Wie das so ist unter Jungs – Ringelpietz mit Anfassen.“ Er drückt den Trompeter Marinel O. zu Boden. Zugeschlagen habe er nicht. Als die U-Bahn am Hausvogteiplatz stehen bleibt, stoßen die Handwerker die drei Musikanten einfach aus der Bahn. Marinel O. schlägt mit seiner Trompete von außen durch die geöffnete Tür mit voller Wucht zu und erwischt den Dachdecker, der ihn eben hinausgestoßen hatte. „Da hat es Peng gemacht, und meine Zähne waren weg.“ Er verliert zwei Zähne und erleidet mehrere Frakturen. Die Trompete zerbricht bei dem Angriff in zwei Teile. Der Trompeter habe weiter mit seinem Instrument zugeschlagen, sagt der Dachdecker, der daraufhin sein Teppichmesser gezogen habe. „Ich hatte keine Lust, noch weiter auf die Fresse zu bekommen“, erklärt er der Richterin. Die Musiker ergreifen die Flucht und werden kurz darauf von der Polizei gefasst.

O. gibt die Tat am Ende der Gerichtsverhandlung zu. Er spricht leise. „Es tut mir leid. Es hätte nicht passieren sollen“, übersetzt die Dolmetscherin. Auch die beiden anderen Musikanten haben mit Trommel und Trompete zugeschlagen, ihre Verhandlungen stehen noch aus. Zuvor gab der Angeklagte an, dass die Trompete zerstört wurde, weil er festgehalten wurde und sich losreißen wollte. Die Richterin verurteilt ihn zu neun Monaten auf Bewährung. Für O. spreche, dass er in Deutschland bislang noch nicht verurteilt wurde. Zudem hätten sich die Handwerker auch nicht korrekt verhalten, urteilt die Richterin. Marinel O. akzeptiert das Urteil.

Geld für die Familie

Der 33-jährige O. ist rumänischer Staatsbürger. Er sagt, dass er in Deutschland keine Miete zahlt und als Straßenmusiker von rund 800 Euro im Monat lebt. 100 bis 150 Euro schicke er jeden Monat seiner Familie – er hat fünf Kinder. O. sagt, dass er dreimal an der Leber operiert wurde und deshalb große Angst hatte, als ihn der Handwerker zu Boden gedrückt habe.

Vor dem Gerichtssaal überredet ein Pressefotograf den Dachdecker, sich mit der Zahnlücke fotografieren zu lassen.

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12 Kommentare

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  • B
    berliner

    Also ich als Berliner kenne diese Gaukler nur zu gut. Es sind ja nicht nur die, es sind noch mehr nervtötende Leute & Bettler. Zu mal die Qualität dieser Musik zum Großteil unterste Schublade ist. Diese, zu meist osteuropäischen, "Musiker" spielen schlecht, sind unkreativ in der Musikauswahl und spielen oft sehr unrythmisch. Und diese "Musik" darf ich mir täglich reinfahren. In anderen Städten ist so etwas verboten und das ist auch gut so. Vll sollte man einfach nur bestimmte Straßen oder UBahn Musiker zulassen (und dann dürften die Rumänen sicher nicht mehr ihre schlechte Musik präsentieren). Für Touristen ist sowas vll ganz nett, aber als Berliner würd ich die lieber früher als später aus der Bahn kicken...

  • TL
    Tim Leuther

    Ich finde es müsste geregelt sein, das ein musiker nicht spielen DARF wenn ein Fahrgast das fordert.

  • W
    Wüstenratte

    Wäre doch ganz einfach: in U-Bahn und S-Bahn und auf den Bahnsteigen ist das Musizieren verboten, in den Zugängen von Bahnhöfen mit Auflagen erlaubt. Auch ich kann ganz gerne auf das Rumtröten von rumänische "Volkskünstlern" verzichten oder sind solche Belästigungen neuerdings im Fahrpreis inbegriffen?

  • SM
    stephan mirwalt

    Die Handwerker haben die Schläge verdient. Sie hätten ja nicht zu provozieren brauchen.

     

    Ich mache selber Musik und empfinde gegenüber Proleten und Spießern nichts als Verachtung.

  • C
    chesire

    Danke für den Artikel,

     

    ich habe Tränen gelacht! Typisch Berlin, jeder versucht sich durchzubeißen, statt mal durchzuatmen und zu entspannen - oder einfach Abteil wechseln?

  • R
    roy

    ...also ich find den Artikel gut.

    Ich bin selber Musiker. Und wenn mich einer bittet aufzuhören, dann würde ich wohl oder übel aufhören. Rücksichtnahme ist für mich auch Verantwortung. Klar, manchmal ist man nicht gut drauf, und verhält sich dumm. Eskalation zur Gewalt aber können immer nur alle verhindern. Jeder kann an jedem Punkt die Spirale beenden. Und: "..ich hör auf, wenn Du mir 20 eur gibst." Das ist schon echt dreist.

  • H
    Hugst

    an Simin und mefirst:

     

    ich finde eure Kommentare unterste Schublade. Klingt mir nach 16-19jährigen, die immer alles verteidigen, das irgendwie Schmutz in den Augen der Spießer darstellt.

     

    Ich bin selbst nicht gegen Straßenmusik, auch in der Ubahn kann es ganz angenehm sein. Aber das mit den 20 EUR ist äußerst unverschämt. Und mit einer Waffe (bzw. Metallgegenstand) in das Gesicht schlagen verteidigt ihr noch? Ich finde die Strafe ok.

     

    Ich möchte keine Zähne ausgeschlagen bekommen, wenn ich um Ruhe bitte. Egal in welchem Kontext.

  • A
    Anonym

    Seit wann gibt sich die taz denn solidarisch mit Handwerkern - "...haben bereits einen lauten Arbeitstag auf dem Bau hinter sich"? Oder überwiegt schlichtweg der latente Rassismus des Martin Rank hinsichtlich der Frage, wem ans Bein gepisst gehört?!

     

    "Viele Fahrgäste hätten bereits mit den Augen gerollt". Ganz großer Journalismus!

  • M
    mefirst

    Liebe Taz, der Artikel ist ja wirklich unterste Schublade. An welcher Stelle in der Geschichte sind die Musiker denn militant? Indem sie sich gegen den Übergriff der Handwerker wehren, die sie anscheinend angegriffen haben? Die Suggestion im ersten Satz macht das gleich noch schlimmer: kennt man ja, wenn eine rumänische Roma-Band in die Bahn einsteigt, dann gibts sicher Ärger.

     

    Solch ein unkritischer Artikel zu einem anscheinend ziemlich kritikwürdigen Vorgang, ist weit entfernt was ich und hoffentlich andere auch von eurer Berichterstattung erwarten. Hätte ich für den Artikel was bezahlt, wollte ich das Geld definitiv zurück.

  • S
    Simin

    Haftstrage abgeblasen - toll wie ihr die Headline formuliert habt. Bild Zeitung kopiert? Hat der Musiker doch richtig gemacht: Berliner Handwerker pöbeln rum, schmeißen die Musiker als selbsternannte Wächter einfach aus der Bahn und wundern sich, wenn die sich das nicht gefallen lassen. Genervte Handwerker dürfen gerne, wenn sie die U-Bahn Fahrer/Musiker/Penner/ Touris ect. nicht aushalten können, den Wagon wechseln! Denn mir ubnd bestimmt auch vielen Anderen gefällt die Berliner U-Bahn Musik!

  • MN
    Mein Name

    Was hat das Bild mit dem Text zu tun? Nichts? Das ist Desinformation!

  • G
    gehtjawohlgarnich

    Krass.. dieser O. kommt in eine Bahn um Leute nach der Arbeit zu nerven und zu nötigen, schlägt hinterher noch jemandem 2 Zähne aus und kommt nichtmal in den Knast, und wenn nen einfacher Hatz IV'ling beim schwarzfahren erwischt wird und nicht zahlen kann, muss er nen ganzen Monat absitzen.

     

    Da fehlt doch jede Verhältnismäßigkeit.

     

    PS: .. und was hat dieses bescheuete Bild in diesem Beitrag verloren? soll damit etwa suggeriert werden, dass der O. ja im Grunde nen ganz lustiger knuffiger Trompeter ist?