Militärbischof über Töten und Moral: "Merkels Satz war unbedacht"
Militärbischof Martin Dutzmann findet es befremdlich, dass die Kanzlerin Freude über den Tod von Osama bin Laden geäußert hat. Denn auch dessen Würde sei unantastbar.
taz: Herr Dutzmann, haben Sie sich gefreut über die Tötung von Osama bin Laden?
Martin Dutzmann: Nein, ich kann mich über den Tod eines Menschen nicht freuen, egal wie er heißt, wer er ist oder was er gemacht hat. Das verbietet uns auch der christliche Glaube - ebenso wie das Grundgesetz, das erklärt, die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt auch für Osama bin Laden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat öffentlich gesagt: "Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten." Schockiert Sie ein solcher Satz einer Kanzlerin?
Ich finde diesen Satz befremdlich. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat. Das Grundgesetz und seine Präambel sollten uns leiten. Deswegen sind wir auch aus gutem Grund gegen die Todesstrafe. Es steht dem Menschen nicht zu, Leben zu nehmen. Ich kann allerdings verstehen, dass die Angehörigen der Opfer vielleicht in gewisser Weise nun erleichtert sind. Die Nachricht vom Tod bin Ladens könnte eine Zäsur in ihrer Leidensgeschichte sein.
Sollte sich die Kanzlerin für ihren Satz entschuldigen?
Ich fände es gut, wenn sie zu erkennen gäbe, dass sie eigentlich eine differenziertere Meinung zur Tötung bin Ladens hat.
Martin Dutzmann, Jahrgang 1956, war nach dem Abitur zwei Jahre Soldat auf Zeit. Danach studierte er evangelische Theologie und promovierte. Seit 2008 ist Dutzmann Militärbischof.
Zeugt das von einer Prinzipienlosigkeit oder Herzenskälte, wenn man sagt, man freue sich über den Tod eines Menschen?
Das Wort "Herzenskälte" finde ich hier falsch. Merkels Aussage war wohl schlicht unbedacht. Dieser Satz kam wahrscheinlich aus dem Impuls, sagen zu wollen, dass der Tod bin Ladens ein entscheidender Schritt im Kampf gegen den Terror sein könnte. Die Kanzlerin hat da zu wenig bedacht, dass dabei ein Mensch gestorben ist.
Aber das ist doch seltsam für eine Pfarrerstochter.
Die Atmosphäre war an diesem Tag so aufgeheizt, das würde ich ihr zugutehalten. Ich bin sicher, die Kanzlerin ist zum Tode bin Ladens zu einer differenzierten Aussage fähig.
Darum bemüht sich derzeit ihr Regierungssprecher.
Es ist gut, dass die Bundesregierung sich jetzt um eine erkennbar ethisch verantwortete Sprachregelung bemüht. Aber ich würde daraus jetzt keine Staatsaffäre machen.
Der Vatikan hat erklärt: "Angesichts des Todes eines Menschen freut sich ein Christ nie." Stimmen Sie dem zu?
Selbstverständlich. Eine gute Nachricht wäre es gewesen, wenn bin Laden festgenommen und einem ordentlichen Gerichtsverfahren zugeführt worden wäre.
Erleben Sie das als Militärbischof bei Bundeswehrsoldaten, dass die sich freuen, wenn ein Feind getötet wurde?
Das habe ich noch nie erlebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!