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Milch-Genossin

Elfriede Ramsteiner hat 28 Milchkühe, ein paar Bullenkälber und eine Menge Wut im Bauch. Im Schwarzwald ist sie seit Jahren die Frontfrau im Kampf für einen fairen Milchpreis. Sie hat keine Zeit, sich über einen wie Rainer Brüderle und seinen Dirndl-Spruch aufzuregen

von Anna Hunger

Halb neun Uhr abends, Feierabend. Elfriede Ramsteiner, 56 Jahre alt, Bäuerin des Ramsteinerhofs, hat an diesem Tag fünf Kuchen gebacken für die Gäste in den Ferienwohnungen, kiloweise Suppengewürz in Gläser abgefüllt für den Landfrauenmarkt. Sie hat einen Holzspreißer aus einer Kinderhand gezogen, ein Pony eingefangen, die Hühner versorgt, dreimal die Spülmaschine aus- und eingeräumt, die Hausaufgaben der Enkel betreut, zweimal die Kühe gefüttert und die Bullenkälber, die keine Namen haben, weil sie als Fleischwurst enden. Davor, danach und zwischendurch macht sie Politik. Sie hat zwei Telefone, ist immer erreichbar, rund um die Uhr. Elfriede Ramsteiner fährt ungern in den Urlaub und hat ungern frei, weil sie dann nichts zu tun hat. Jeden Morgen steht sie um sechs Uhr auf, außer sonntags, da kann es auch halb sieben werden.

Wäre Elfriede Ramsteiner ein Auto, wäre sie ein Jeep mit 220 PS, Sechsgang-Schaltgetriebe und Allradantrieb. Stark, zuverlässig, angriffslustig, und bereit, jeden noch so steilen Hügel zu erklimmen. Sie lebt in Hausach, Schwarzwald, wo die Eier noch direkt aus dem Huhn kommen und nicht aus einem Pappkarton. Ihre Kühe grasen auf einem sehr steilen Steilhang hinterm Haus. Und jenseits der Dorfstraße auf den Weiden zweier Höfe, die Elfriede und ihr Mann Konrad dazugepachtet haben, weil der schlechte Milchpreis die einstigen Besitzer in die Knie zwang.

Dieser Landstrich ist nicht der Ort für theoretische Emanzipation. Elfriede Ramsteiner ist die Galionsfrau des Kinzigtals im Kampf um einen fairen Milchpreis und eine der Mütter einer Bewegung unter Bauersfrauen, die keine Zeit haben, sich über einen wie Rainer Brüderle und seinen Dirndl-Spruch aufzuregen. „Ja, mein Gott“, sagt Elfriede Ramsteiner und dreht die Augen auf zwölf.

In Hausach gab es lange einen Frauenverein. Aber der hielt seine Treffen immer zu Zeiten, zu denen die Kühe auf den Höfen noch nicht gemolken und gefüttert waren. Weil Elfriede Ramsteiner und eine Freundin fanden, die Frauen auf den Höfen des Kinzigtals sollten auch die Möglichkeit haben, sich kennenzulernen, damit nicht jede für sich wurschtelt, gründeten sie einen Landfrauenverein. Termine nach der Stallzeit. Das war 1996. Elfriede Ramsteiner war jahrelang Vorsitzende.

Die Landfrauen bieten Kurse an zur Gästebetreuung auf dem Bauernhof, PC für Anfänger und Fortgeschrittene, Gartenbau-Seminare, Austausch über Saatgut, Dünge- und Futtermittel, alles, was wichtig ist für ein Landleben, das nur für Feriengäste romantisch ist. Manchmal gönnen sie sich auch mal ein Wellness-Wochenende. Seit es den Verein gebe, sagt eine Nachbarin, seien die Frauen „irgendwie beschwingter“. In Hausach gibt es einen Ableger des BLHV, des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands – das ist der „Männerverein“. Früher fanden die Bauern die Landfrauen-Idee prima, heute sagen viele – nur halb im Scherz: „Wenn wir gewusst hätten, dass ihr so viel unterwegs seit, wären wir dagegen gewesen“.

Elfriede Ramsteiner hat den Bäuerinnen rund um Hausach das Selbstbewusstsein gegeben, nicht nur die Frau von jemandem zu sein, sondern einen eigenen Namen zu haben. Und die Kraft, für Belange einzustehen, die lange Männersache waren: für Freizeit außerhalb des Hofs, für Gemeinsamkeit, gegen das ausschließliche Dreigestirn „Kinder, Küche, Kirche“ und für den Mut zu politischer Mitsprache.

„Bei ihr laufen die Fäden zusammen“

Sie hat geholfen, die Frauen des Kinzigtals auf dieselbe Stufe zu heben und sie dazu gebracht, an einem Strang zu ziehen im Kampf um den Erhalt der kleinen Milchwirtschaftsbetriebe, die an fehlgeleiteten Subventionen, europaweiter Überproduktion und Dumpingpreisen für Milchprodukte sterben. „Bei Ihr laufen die Fäden zusammen“, sagt eine Nachbarin. „Sie hat die Kraft und die Stärke, etwas zu bewegen.“

Für die Landfrauen saß Elfriede Ramsteiner im Vorstand des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands. Als der mit dem Milchpreis zerfiel, in die Milchbauern auf der einen und die Obst-, Forst- und Fleischbauern auf der anderen Seite, trat sie aus, wechselte in den Kreisvorstand des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter und begann sich für einen fairen Milchpreis zu engagieren. „Wir bieten ein Qualitätsprodukt an, das wir zu einem lächerlichen Preis abgeben“, sagt sie. Konrad Ramsteiner, ihr Ehemann, nickt heftig. Früher hat er sich für den Milchpreis engagiert, aber seit er gesundheitlich nicht mehr so kann, hat seine Frau viel übernommen. Er unterstützt ihr Engagement. Aber wenn sie dauernd unterwegs sei, dann fehle sie ihm schon, sagt er.

Vor zwei Jahren bekamen die Ramsteiners 23 Cent für den Liter. Das hat ihre Ersparnisse aufgebraucht und machte sie so grantig, dass sie die Milch auf den Feldern verschütteten. In diesem Jahr sind es immerhin 33 Cent, die mit Ach und Krach die Kosten für den Hof decken. Um gut leben zu können, hat eine Studie des European Milk Board kürzlich für einen Kuhbestand von 40 Kühen in der Region Süd 51 Cent Erzeugerkosten errechnet, Subventionen eingerechnet.

Dafür demonstriert Elfriede Ramsteiner in Brüssel, Luxemburg, Berlin und vor dem EU-Parlament in Straßburg. Dafür, dass sie von ihrem Produkt leben kann, ohne Subventionen zu kassieren. Dann zieht sie ihr T-Shirt mit der Aufschrift „Faire Milch“ über, packt die „Schmidt-Josefine“ aus der Nachbarschaft ein und steht Stunden später zwischen Bauern aus Irland, Österreich und Italien mit selbst gemalten Transparenten.

Ein richtiger Kampf, sagt Elfriede Ramsteiner. Und der spaltet nicht nur den Bauernverband, den Dachverband der Deutschen Agrarwirtschaft, sondern auch die Bauern – in Landwirte, die wenig Milch produzieren, und die, die zu viel auf den Milchmarkt schütten und damit den Preis drücken. „Wir Bauern verramschen unsere Milch. Dann können wir sie auch gleich selber behalten.“

Weil nur schimpfen der Sache kaum zuträglich ist, begann sie, selbst ganz praktisch etwas gegen die Milchmisere zu tun. Der erste Schritt: Sie macht ihren Käse selbst. Übers Internet fand sie eine mobile Käserei, die seitdem regelmäßig durch den Ort fährt, die Milch der Ramsteiners in Hartkäse verwandelt und die einiger Nachbarhöfe gleich mit. Seitdem verkauft sie ihren Käse selbst – und mit ihm den Liter Milch zu einem anständigen Preis.

Vor drei Jahren ließ sie sich in den Aufsichtsrat der Milcherzeuger-Genossenschaft Ortenau (MEG) wählen, mittlerweile ist sie Aufsichtsratsvorsitzende, einzige Frau unter lauter Männern, respektiert, weil sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Für die MEG sitzt sie im Aufsichtsrat der Schwarzwaldmilch, einer Genossenschaft aus 1.400 bäuerlichen Kleinbetrieben. Die MEG hält 20 Prozent der Schwarzwaldmilch, die anderen 80 gehören der MEV, der Milcherzeugergemeinschaft Breisgau-Südschwarzwald. Und zwischen denen gibt es Streit, derzeit um einen Sammelliefervertrag, um gegen die Molkereien mit mehr Schlagkraft auftreten zu können. Ramsteiner kämpft mit ihrer MEG dafür, die MEV dagegen.

Elfriede Ramsteiner hatte sich für den Aufsichtsrat aufstellen lassen, weil sie dachte, als Frau könne man da was bewegen. Eine andere Herangehensweise ausprobieren, sie findet, Männer seien manchmal so wenig kooperationsbereit. Mehr Verständnis könnte helfen, aufeinander zugehen. „Dachte ich so“, sagt Ramsteiner. „War aber nix.“ Nun ist sie einmal die Woche mit einer Handvoll Bauern unterwegs und besichtigt andere Milchwerke. In der Hoffnung, die Gemeinschaft zu vergrößern, die sich für einen fairen Milchpreis starkmacht.

Ob sie zuversichtlich ist? Rom sei auch nicht an einem Tag erbaut worden. „Aber wenn niemand etwas macht, dümpeln wir in zwanzig Jahren noch so dahin. Wenn überhaupt.“ Kein Wunder, dass da Pferd in der Lasagne sei und Bio-Eier dann doch nicht bio, bei den Preisen, sagt sie. Elfriede Ramsteiner ist ein Fels in der Brandung im europaweiten Kampf um die Wertschätzung der Bauern, ihrer Arbeit, und der Lebensmittel, die die Menschen so kaufen. Aufgeben? Nein, sagt sie, auf keinen Fall. „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren.“

Kürzlich hat sie sich ein Poster an die Bürotür geklebt: „Trau dich“ steht drauf. Trau dich, Rebell zu sein. Als ihr Mann das Plakat an der Tür hängen sah, hat er wenig gesagt. Nur leise „oje“ geseufzt.